Blaue Pillen

Er lag im Bett. Und versteifte sich.
ALLERDINGS NICHT AM RICHTIGEN ORT.
Barbara streichelte über sein Haar: «Das macht doch nichts, Jan!»
Er war gereizt. «Natürlich macht es etwas, Babsilein? ich meine: Das ist mir noch nie ­passiert?»
«Du hast zu viel um die Ohren, Jan. Leg dich ganz nahe zu mir. Lass uns kuscheln!»
KUSCHELN WAR FÜR BECKENRAND­SCHWIMMER! Aber nicht für Jan, den heissen Aufreisser. Jeder und jede wusste, dass er immer für zwei, drei Nummern gut war?
Jan kannte Barbara nun schon seit zwei Wochen. In der Bar Rouge war sie ihm sofort aufgefallen: heisse Läufe. Und verheissungsvolle Ausbuchtung im knappen T-Shirt.
Jan war Profi. Ein Draufgänger. Aber mit System und Taktik. Er wusste, dass Mann die Sache langsam angehen lassen musste.
Zuerst: nur Konversation.
Dann: Blumen. Und Eintrittskarten für ein Pop-Konzert («Ich habe zufällig zwei Tickets?»)
Eigentlich war Jan mit seinen 62 zu alt für Pop-Konzerte. Aber Babsilein war umso jünger.
Schliesslich führte er sie italienisch aus. Nach Manzo brasato und Birne im Rotwein wäre eigentlich der Tag der gemeinsamen Nacht angesagt gewesen. WÄRE? denn eben: «DAS IST MIR NOCH NIE PASSIERT!»
Am andern Tag googelte Jan sich im Büro wild durch die Stichwörter «Potenzschwierigkeiten» und «Erektionsstörungen». Über 150 000 Treffer.
Klar war: Er brauchte diese blaue Wunderpille. Klar war auch: Er konnte hier nicht einfach in eine Apotheke gehen. Jeder kannte ihn im Städtchen: Bürgerrat? Säckelmeister einer Zunft? Kirchenvorstand? und immer wieder Gast in lokalen Talk-Shows.
«Sagen Sie morgen alle Meetings ab?», bellte er seine Seketärin an. Frau Hämmerli arbeitete seit 28 Jahren für ihn. Sie war Kummer gewohnt.
«Aber?», versuchte sie noch.
«KEIN ABER!», brüllte er.
«Scheissweiber», knurrte Frau Hämmerli. Wie gesagt: Sie kannte ihn durch und durch.
Er fuhr nach Zürich. Suchte dort eine unscheinbare Apotheke auf. «Ähemm? haben Sie Viagra?»
Der Apotheker, ein kleiner Inder, lächelte: «Der Patentschutz ist vor ein paar Monaten gefallen?»
«Ja und?»? «Es gibt preiswertere Generika?»
Jan hatte bei Google gesehen, dass auch im Internet Generika angeboten wurden. Viele Einträge warnten aber vor faulen Tricks. Oft handle es sich bei den Dumping-Produkten um blau gefärbte Kreide?
«Nein. Ich will das Original?»
«Haben Sie irgendwelche Beschwerden...? Diabetes? hoher Blutdruck...?»
Den bekam er jetzt bald, wenn dieses Männchen ihm nicht endlich die Schachtel herausrücken würde.
«Oft sind solche Störungen reine Kopfsache?»
DLINGDLANG. Die Ladentüre öffnete sich. Und: «Ja hallo, Jan? was machst d u denn in Zürich?!»
VERDAMMICH!
Es war Hubert Müller? ausgerechnet dieser Schleimer von den Grünen.
«Ach, ich habe eine Sitzung? und Husten?» Jan hustete jetzt dramatisch. Verlangte Vicks VapoRub. Und machte sich aus dem Staub.
Hubert Müller schaute ihm kopfschüttelnd nach. Dann wandte er sich an den Apotheker: «Ich hätte gerne? ähemmm?. Viagra und?»
Der Inder lächelte zuvorkommend: «Es gibt jetzt Generika?»
Im Büro wartete Frau Hämmerli mit einem Brief auf Jan: «Den hat eine Dame abgegeben.» Sie sagte das Wort «Dame» so, dass jeder merkte, dass es keine war.
Es war der Abschiedsbrief von Babsilein.
Dann knallte ihm die Sekretärin ein Päckchen hin: «Da? versuchen Sies mal mit Viagra. Ist zwar nur ein Generikum?»
Wie gesagt: Sie kannte Jan durch und durch.

Montag, 25. November 2013