Bergidylle

Er war ein Weichei!
EIN WARMDUSCHER.
Nein. Sie hatte mit ihm nicht das grosse Los gezogen.
WEISS GOTT NICHT!
Der angehende Wirtschaftsprüfer entpuppte sich schon bald einmal als Niete. Mit Anfällen von Hypochondrie. Und einem Grind, stur wie ein Esel ?
Bereits im dritten Ehejahr war ihr Sexleben so tot wie die Sympathien gegenüber einer Grossbank.
Sie blieben kinderlos. Die paar Versuche dagegen waren eh eine lahme Sache gewesen. Ohne harte Entschlossenheit ? wenn man es so sehen will.
Er hatte sich beim Sexspiel ähnlich lustlos verhalten, wie wenn er mit dem Staubsauger in der Hand über den Spannteppich herzog.
Nach der silbernen Hochzeit hatte sich Ursula mit ihrem Fehlgriff abgefunden. Immerhin: Andere trafs schlimmer. Ihre Freundin Lenchen beispielsweise war mit einem brutalen Säufer verheiratet. Wie oft hatte sie ihre blauen Flecken mit dem Flüssigpuder von Max Factor übertönen müssen. DAS WAR DER SCHLAGENDE BEWEIS, DASS ES ANDERN NOCH MIESER GING.
Und Marthas Alter ist mit seiner (allerdings kümmerlichen) IV-Rente (Moto-Unfall!) jedem Schlitz nachgejagt ? kein einziges Mal hätte ihn so ein Bandit nach all den Münzen dankbar in den einen Arm genommen. Erst als das Spiel­casino ihm einen Psychologen zur Seite stellte, wechselte er den einarmigen Banditen gegen die Dame am Pokertisch aus. Liess sich scheiden. Und heiratete den Psychologen.
Ursula sah ein: Andere Frauen hatten es mieser. Und doch:
IMMER GING ALLES NACH HUGOS BETONKOPF.
Auch der Ferienplan.
Sie wäre beispielshalber gerne an einen Strand gefahren.
Er: «Dort hat es diese schrecklichen Sandflöhe ? Du weisst: Ich habe eine Sandflohallergie!»
Er tätschelte ihre Hand: «Es sind die Berge, welche dir den Frieden bringen, Ursula ?»
Also gings zum hundertsten Mal auf die Alp. Zu all den summenden Schmeissfliegen rund um die dörren Kuhfladen. Und zum ewigen Gemecker: «Weshalb sind die Österreicher zu Touristen so viel freundlicher als die Oberländer?»
Beim Oeschinen-See stach ihn dann etwas. Hugos Arm schwoll innert Sekunden an? wie eine Dampfnudel mit zu viel Hefe im Teig.
«Oh Gott», japste er, «tu etwas ? du weisst doch, dass ich allergisch bin ?»? «Von so einem Stich stirbt keiner», sagte Ursula ungerührt.
Sie sass auf dem Alpengras. Besah sich den kleinen Einstich. Und verband den Arm mit dem Taschentuch, das ihren Hosenboden gegen die nasse Unterlage schützen sollte.
Das Tuch war auf stark sonnengetrocknetem ­Ziegendung gelegen.
In der Nacht hatte Hugo 41,2 Fieber. Er stöhnte nur noch. Und sagte nicht mehr viel.
Am frühen Morgen sagte er dann gar nichts mehr.
Ursula dankte dem barmherzigen Gott, der wunderbaren Natur und dem verdorrten Ziegenkot für die Erlösung.
An der stillen Beisetzung flüsterte Ursula ihrer Freundin Lenchen ins bläulich gefärbte und von Herrn Factor abgepuderte Ohr: «In einem hatte der alte Sturgrind recht ? es sind die Berge, welche dir den Frieden bringen ?»
Ein Jahr später berichtete der «Frutigländer» auf Seite 3 von einem stark alkoholisierten Mann, der beim Elsighorn zu Tode gestürzt sei: «Für Gattin Lena ist es ein unerklärlicher Fehltritt in der ­wilden Natur gewesen ?»
Zwei Monate später reiste Lehnchen mit Ursula ans Meer. Ohne Max Factor.

Montag, 5. August 2013