Onkel Alphonse soff.
Er war nicht das, was man heute einen «Alki» nennt.
Er war Gelegenheitstrinker.
Tante Julie bot ihm keine Gelegenheiten. Wenn Besuch kam und Alphonse (erfreut über die Gelegenheit) «ich mache ein schönes Fläschlein auf» rief, blitzte ihn Julie eiskalt an: «ALPHONSE!»
Es gab Tee. «So ist sie halt...», entschuldigte Alphonse die verpasste Gelegenheit.
An Weihnachten hiess es von der Frauenseite immer: «Passt auf Alphonse auf... nicht, dass er an die Flaschen geht!» Doch wenn die Männer den stinkfrommlangweiligheiligen Abend etwas Pfeffer geben wollten, füllten sie Alphonse ab. DA WAR DANN DIE SAU LOS. Die Frauen tobten, Julie hieb mit ihrem Gummi-Handtäschlein auf den Onkel ein, als der unter dem Baum die Frau-Wirtinnen-Verslein aufsagen wollte.
Alphonse war mein Lieblingsonkel? er war nämlich auch lustig, wenn er nicht gesoffen hatte. Er war eine Frohnatur.
Überdies wehte um ihn stets dieser wunderbare Duft von halbgerauchten Rössli-Stumpen und holländischem Kautabak.
Das gab ihm etwas Gemütliches, Liebenswertes.
Wenn er sich dann heimlich irgendwo einen Kirsch oder Appenzeller reinzwitscherte, kaute er eine Sen-Sen-Pastille zum Abgang. Der Duft von verblühtem Jasmin zwischen den gelben Zähnen verriet ihn. Und die Tante griff wieder zu ihrer Gummi-Handtasche.
«Er wird sich noch ins Grab bechern...», jammerten die Weiber.
«Er flemmt sich 30 Karzinome auf die Lunge...», unkten die Männer.
«Ihre Leber!... Ihre Leber!...», schüttelten die Ärzte den Finger.
Doch Onkel Alphonse liess dies kalt. Er dampfte heiss weiter, wie das Kamin dieser Fabrik, in der er Vorarbeiter war. Und er feierte seinen Zahltag weiterhin mit Kirsch und Wirtinnen-Versen.
Nun leben wir heute in einer Welt, die wie Tante Julie mit dem Gummi-Handtäschlein zuschlägt: keine verrauchten Beizen mehr... VERBOTE... VERBOTE... VERBOTE... GROSS GESCHRIEBEN... und überall die Zigarettenpäckchen mit Krebsleichen drauf. Da vergehen einem auch die Frau-Wirtinnen-Verse, die ohnehin sexistisch und politisch nicht korrekt sind.
Als ich kürzlich in Adelboden vergeblich auf den zweiten Lauf des Riesenslaloms wartete, heiterte mich der Lokalsender auf. Er brachte die News: «89 Prozent der Jugendlichen von Spiez haben das Versprechen abgegeben, nie zu rauchen!» In einer Gegend wo der Nebel auf Dauerrauch macht, kann ich das gut verstehen.
Als sich am Tag darauf die Grauschleier lichteten und der Slalom rauchfrei bei Sonnenschein durchgeführt werden konnte, sind mir ganze Heerscharen von zugetörnten Jugendlichen entgegengestromert.
Sie schwenkten Büchsenbiere, Weinflaschen, Alkopops... Kurz: Sie waren wohl rauch-, aber nicht promillefrei.
Ganze Herden von jugendlichen Fans mit Kuhhörner-Kappen hielten sich aneinander fest, weil sie alles andere als «MILCH? LAIT? LATTE», für das ihr Kopf Reklame machte, intus hatten.
Die Konversationen, die sie einander zuriefen, waren von dieser Art, wie sie heute immer wieder zu hören sind:
«Heee? bisch scho uff Stuefe 10...»
«Super heee... geil druff...»
«Mega-Party doo...»
Na dann Prost.
Ich will meinen Onkel Alphonse nicht besser machen, als er war? aber seine Wirtinnen-Verse hatten mehr Spritz. Und sein Parfum von Rösslistumpen-Rauch und Sen-Sen-Mundpastillen hätte jedes dieser Versace-Aftershaves fröhlich überduftet.
Er wurde als 94-Jähriger nach einer Sauftour laut singend von einem schnellen Motorrad überfahren. Und war auf der Stelle tot.
Der Rest der Verwandtschaft ist anständiger, aber gut 20 Jahre früher von dieser Welt gegangen...
Alphonse
Montag, 18. Januar 2010