Allerlei Normen

Luggi war auf 100. Luggi hiess eigentlich Lucretia. Aber jeder rief sie «Luggi».
Nun hatte also diese dumme Kuh von einer Sicherheitsbeamtin Luggis sündhaft teure Straffcreme «GLATTIGLATT» und das 3-Deziliter-Spray-­Flacon von «RÊVE D?éTé» konfisziert.
Luggi hatte gefaucht wie ihr Kater Rex, wenn man diesen gegen den Strich bürstete: «WAS SOLL DIESER SCHWACHSINN!?»
Die Beamtin war Kummer mit reisenden Hermes-Taschen gewohnt. Ihr Lächeln war auf den Lippen eingefroren wie der Stängel im Himbeereis: «Die europäischen Vorschriften ?»
«ICH BIN NICHT EUROPÄERIN. ICH BIN SCHWEIZERIN!», fauchte Luggi «ICH BRAUCHE DIESE STRAFFCREME LEBENSNOTWENDIG ?»
Der Lebensnotwendige hiess Marco. Für ihn und seine geübten Hände reiste Luggi immer wieder nach Ischia. Als er vor drei Monaten ihren hummerroten Körper erstmals aus dem heissen Sand der Poseidon-Gärten ausbuddelte, als seine dicken Finger ihren Rücken und alles darunter so hingebungsvoll massierten wie der japanische Metzger sein Kobe-Rind, da spürte Luggi ein erschütterndes Beben? und dies, ohne dass irgendwo ein Erdwärme-Bohrer in der Nähe gewesen wäre.
Lucretia machte sich den Bade-Masseur zum Kur-begleiter. Immer wenn er ausmassiert hatte, trafen sie sich in der kleinen Osteria von Marcos Nonno. Das Dessert schnäbelten sie dann auf dem breiten Ehebett der Grosseltern. Diese schimpften Luggi allerdings eine «putana». Aber sie strichen beflissen die Decke glatt, wenn die nicht mehr so junge Gespielin ihres Enkels die grossmütterliche Hand mit 50 Euros salbte.
«Sie können die Sachen beim Rückflug wieder abholen!», sagten die tiefgefrorenen Lippen nun eisig.
Luggi wartete auf dem Helikopter-Flugplatz dann vergeblich auf Marco. Das Einzige, was kam, war ein SMS: «A sta sera».
Nun? sie war ganz froh darüber. Immerhin musste sie sich zuerst die Haare föhnen. Ihre elegant und voluminös aufgesprayte Frisur war bei der hohen Luftfeuchtigkeit zusammengesackt wie ein Soufflé im Wind ?
«Mein Stecker geht nicht ins Loch», rief Luggi aus dem (viel zu engen) Badezimmer den Concierge an. «Il steggero non va in bucco.»
Es folgte ein Schwall von unverständlichen Worten. Dann klopfte es. Und ein Zimmerkellner brachte etwas, das wie eine Elektrobrücke aussah.
Luggi entdeckte die gestanzten Buchstaben «Made in China». Sie gab daraufhin jede Hoffnung auf, dass in diesem Badezimmer irgendwann einmal ein Föhn föhnen würde.
Auch die elektrische Zahnbürste gab kein Signallicht. Sie hatte einen versetzten Dreipol. UND HIER WAR ALLES NUR ZWEILOCHIG. Oder eng dreigelocht.
Luggi kochte: Da machten sie europäische Vorschriften für jedes Handgepäck, formten Bananen nach der Brüsseler Standart-Norm? ABER ELEKTROSTECKDOSEN STECKTEN IN JEDEM LAND EUROPAS WIEDER ANDERS. Ja putzt sich Frau Merkel in den Hotels denn nie die Zähne?!
Sie jagte zum Hotel-Figaro. Sah danach aus, wie ein halbgerupftes Perlhuhn. Und erschien ausser Atem viel zu früh in der Beiz des Nonno, wo Marco eben mit einem dicken Herrn im grosselterlichen Schlafzimmer verschwand.
Zwei Stunden später segelte er mit rotem Kopf auf sie zu: «Ohhh Luggghi ?!»
«Für dich Lucrezia», erhob sie sich eisig. Verliess das Lokal. Und 12 Stunden später die Insel.
In Zürich bekam sie dann «RÊVE D?éTé» und ihr «GLATTIGLATT» wieder zurück.
Den variabel genormten Marco wollte sie nie mehr.

Montag, 12. August 2013