Es begann, als der Dirigent den Taktstock hob.
Es war der Auftakt zu einem Niesanfall, den Oskar Huber, dritte Reihe Parkett, Sitz 325, zum Beben brachte.
Oskar Huber ist ein treuer Mittwochabonnent. Gemischtes Programm. Oper. Ballett. Auch Schauspiel.
Huber mochte Schauspiel weniger. Überdies waren die Sitze im Schauspielhaus ein Skandal. Folter der miesesten Art. Das waren keine Stühle ? das war ein architektonischer Furz, der sich nach innen geblasen hatte.
Huber hatte der Regierung einen giftigen Brief geschrieben. So in der maliziösen Tonart: «? pro Aufführung können Sie gleich noch einen Bon über sechs Stunden Physiotherapie für einen gemarterten Rücken abgeben!»
Es kam keine Antwort. Aber das kümmerte Huber nicht. Hauptsache: Die Luft war raus! Diesmal nach aussen.
Heute aber Oper. Darauf hatte er sich gefreut.
«Was siehst du denn Schönes, Oskilein ?», hatte ihn Mutti gefragt.
«?Manon?, Mama!»
«Ist das ein Musical, Oskilein.»
«Nein ? eine Oper mit Gesang!»
Oskar lebte als 58-jähriger Junggeselle noch immer bei seiner Mutter.
«Hast du eine Krawatte um, Oskilein?»
«Ja, Mama.»
«Es ist schrecklich, wie die Leute heute ins Theater gehen. Kein Stil mehr, nicht wahr, Oskilein?»
«Ja, Mama.»
«Willst du von meinem Parfüm, Oskilein?»
«NEIN, MAMA! Ich bin allergisch, das weisst du doch ?»
«Aber mein Parfüm ist sehr teuer, Oskilein ?»
«Ja, Mama.»
Huber hasste Parfüm. Es machte ihm tränende Augen. Und löste einen Niesanfall aus.
Seine Mutter warf die süssen, schweren Düfte eimerweise an sich. Trotz seinen Bitten, «Sweet dreams» oder «Air du temps» zu stoppen, hatte sie weitergesprayt.
«Es macht mir Niesanfälle, Mama!»
«Das ist nicht mein Parfüm, Oskilein ? das ist nur, weil du keine Frau hast!»
Huber hätte gerne eine Frau gehabt. Er brachte auch immer wieder solche Exemplare heim. Aber Mutti hatte ihn nur vorwurfsvoll angeschaut. Und dann alles weggesprayt ? Frauen mochten keinen Mann, der vor seiner Mutter in tränende Niesanfälle ausbrach.
Nun freute er sich auf einen netten Opernabend. Und auf ein Schwätzchen mit Abonnenten-Sitz 327 ? einem pensionierten Lehrer, dem manchmal der Hörapparat düdelte.
Leider kam Abo 327 nicht. Dafür die Nichte. «Mein Onkel hat die Schweinegrippe ?», grinste sie zu Huber. Der hatte gleich ein mieses Gefühl: eine echt unsympathische Kuh!
Dann kam diese Welle von Parfüm ? und er wusste: ICH BIN VERLOREN!
Das Licht war aus. Sitz 325 war in der Mitte. Das Orchester war schon im vierten Takt ? jetzt brauste Oskar Huber los wie 20 Posaunen.
Aus der zweiten Reihe zischten sie erbost «Psssst!» ? aus der vierten wurden Papiertaschentücher gereicht. Und nach Takt 827 klopfte der Dirigent genervt ab. Da tönte das «Hatschiiii» aber bereits aus dem Foyer ?
Zu Hause wartete Mutti. «Wars schön, Oskilein?»
«Ich hatte einen Niesanfall, Mama. Die Sitznachbarin hatte so ein starkes Parfüm und ?»
«Papperlapapp, Oski ?Dir fehlt einfach eine Frau!»
Da kapierte er: Es war tatsächlich k e i n e Parfümallergie. ER WAR ALLERGISCH AUF SEINE MUTTER!
Er steckte sie erbarmungslos ins Altenheim.
Auf dessen Fluren wehte bald einmal der zarte Duft von «Air du Temps».
Und «Sweet dreams».
Allergie? allegro ma non troppo
Montag, 11. Februar 2013