149 Freunde

Gestern hatte ich 149 Freunde. Vier waren neu. Die Freunde haben wieder Freunde. Und die könnte ich eventuell noch zu den 149 dazugewinnen.
Ich brauche nur einen Knopfdruck zu starten: WILLST DU MEIN(E) FREUND(IN) WERDEN?
Die Freundschaft findet auf meinem Computerschirm statt. Ich weiss nicht, wer das Gefäss FACEBOOK erfunden hat. Aber es muss ein Menschenfreund gewesen sein.
Seit er die virtuelle Freundschaft ins Leben gerufen hat, ist die Menschheit untereinander ein Freude-Eierkuchen.
UND DAS IST SCHÖN SO.
Wie haben wir früher ohne Facebook eigentlich Freunde gewinnen können? Ich meine: Wie haben wir das nur geschafft?
Ich kann ja im Tram nicht einfach den netten, älteren Herrn mit den eingebundenen Beinen neben mir anpuffen: WILLST DU MEIN FREUND WERDEN? Der denkt sich doch was weiss ich dabei. Bei Frauen wirds noch heikler. Da steht diese liebenswerte Hausfrau mit den Aktionserdbeeren vor mir im Supercenter. Ihre POSTCARD ist überzogen. Und die BANCCARD dito. Ja soll ich sie anstupsen, ihr 20 Franken leihen und flüstern: «WILLST DU MEINE FREUNDIN WERDEN?»
Als kleiner Bub bekam ich zu meinem zehnten Geburtstag ein Freundschaftsalbum.
Auf dem Buchdeckel tanzten zwei Maikäfer bei Mondenschein. Mein Vater tat solche Freundschaftsalben als «das ist doch nichts für einen Buben!» ab. Aber Tante Julie, die Beschenkerin, gabs ihm zünftig: «Jetzt aber mal halblang, Hans! Nicht jeder kann seine Freundschaften im Sechsertram aufgleisen!»

Jörgli Abächerli.
Natürlich war ich Feuer und Flamme. TANZENDE MAIKÄFER WAREN IMMER MEIN DING. Ich ging also mit dem neuen Buch zu Jörgli Abächerli. Er hatte schon mit neun Jahren einen leichten Schnurrbart. Das gab den Ausschlag:
«Jörgli, willst Du mein Freund werden?»
Jörgli jaulte auf. «ZIEH LEINE! Ich schreibe keine Vierzeiler in so ein Tuntenbuch!»
Später, als das Kind schön und rund wurde, kamen die Freundschaftsanfragen unkompliziert über den Tresen. In der Tony-Bar schob mir Barfrau Jolande ein Champagnerglas nach dem anderen zu. Sie deutete mit dem Daumen in eine bestimmte Richtung: «Der dort, mit der Glatze...» Die Glatze lächelte mir zu. Längst schon hatte ich aufgehört, über solche Anfragen statistisch Buch zu führen...
Heute also kommt die Anmache auf dem elektronischen Weg. Ganz egal wen oder was Du suchst? irgendwo gibt es immer eine Plattform, wo Du Dich einklicken kannst. Als Hildi den «gut erhaltenen Witwer, 62,» der eine fröhliche Weggefährtin «auf diesem ungewöhnlichen Weg» suchte, anklickte, war sie sofort Feuer und Flamme. Nach 2985 ausgetauschten Mails kam sie aufgelöst zu mir: «Morgen werden wir uns sehen. WAS SOLL ICH NUR TUN? Er denkt, ich sei 40 und sehe aus wie auf dieser Foto, die Onkel Alphonse an deiner Konfirmation von mir geschossen hat.» Ich riet ihr zu drei Dutzend Botox-Spritzen und dem Pearl-Cleaning für Raucherzähne.
Dennoch ging die Sache in die Hose. Der rüstige 62er kam am Stock. Er bezog? laut Hildi? bestimmt seit einem Vierteljahrhundert die AHV und «stank wie eine ganze Abfallhalde». Ich glaube, wir sollten weniger virtuelle Freundinnen und Freunde finden, als echte Freundschaften gut pflegen.
Apropos Freundschaften pflegen: Da bekam ich gestern tatsächlich über Facebook eine neue Botschaft: «Jörg Abächerli fragt, ob Du sein(e) Freund(in) werden möchtest.» Ich bin nicht nachtragend. Und habe zugestimmt.

Montag, 17. Mai 2010