Von der Schönheits-OP und einer Frybourger Kuh

Illustration: Rebekka Heeb

Innocent linste über den ­Tassenrand. WAS ER SAH, MACHTE IHM DIE MILCH SAUER.

Sein Visavis löffelte dieses griechische Joghurt, das so dick war wie ein Vanillepudding. Der Brei aus dem sonnigen Sorgenland hat dreimal so viele Kalorien wie vier Cremeschnitten.

ABER IMMERHIN: JOGHURT ZUM FRÜHSTÜCK! DAS IST DOCH SCHON MAL EIN ERNÄHRUNGSTECHNISCHER ANFANG. Zumindest für Nilpferde mit Nutella-Gipfel-Gelüsten.

Das Nilpferd trug keinen Morgenrock.

Nilpferde tragen Tütüs. Dies jedoch nur in ­Disney-Filmen. Ansonsten zeigen sie sich rundum natür. Dieses hier hatte einen Slip (unten) und drei Spritzer 4711 (oben).

Schliesslich streckte Innocent den Kaffeelöffel in meine Richtung: «MUSS DAS SEIN! WIRF DIR EIN ZIRKUSZELT AN. ICH WILL HIER FRÜHSTÜCKEN – UND DU SIEHST AUS WIE EINE ­FRYBOURGER ZUCHTKUH!»

Ich schwieg. Und der Herr vis-à-vis merkte, dass er drei Takte zu weit gegangen war.

«Es sind Altersflecken…», verhedderte er sich jetzt in Ausführungen, die keiner hören wollte. «…das ist ganz normal, wenn man schon so lange Rente zieht … hähähä … nur Schneewittchen hatte auch nach dem Tod eine Haut so weiss wie Elfenbein … hähähä … aber das hier sieht aus, als hätte eine Herde Kühe die Weide vollgesch… hähähä.»

Ich stand auf.

Ging in mein Zimmer.

Und weinte bitterlich.

Ich wartete darauf, dass er an die Holztüre hämmern würde: «TU DIR NICHTS AN … das war sehr unfein von mir … für mich bist du noch immer das Schönste dieser Welt und…»

ICH WARTETE ZWEI STUNDEN. UND ICH WARTETE UMSONST. DENN IM FERNSEHEN LIEF DAS LETZTE SKIRENNEN DER SAISON.

Als der Slalom mit seinen Stangen fertig war, hämmerte er endlich an die Türe: «Was gibts eigentlich zum Mittagessen?»

Da weinte ich noch einmal. (Und gab still meiner lieben Mutter recht, die immer gesagt hat: «Hüte dich vor Männern, die bereits um vier Uhr auf die Uhr schauen, ob Apéro-Zeit ist. Sie haben ein Herz voller Eiswürfel!»)

Ich schlich mich ins Bad. Und was das Spiegelbild mir entgegenhielt, machte mich depressiv: Es war eine Frybourger Kuh. Mit dunklen Flecken übersät. Altersspots – wie mein Neffe spottete.

Eben derselbige Neffe liess mich aber mit ­seinem Spott nicht in Tränen stehen. Er steckte mir eine Telefonnummer zu: «Das ist Olli. Der bekommt das hin. Er wirkt Wunder…»

«Aha».

«Ja. Erinnerst du dich an die alte Schmid – die Dicke mit dem Vierfachkinn und der Pockennarbenhaut?»

Ich erinnerte mich nicht.

«Egal – die Schmid ging zu Olli. Lief drei Monate mit einem Verband herum. Und erzählte ihren Freundinnen, ein Moped habe sie umgerollt. Als der Verband weg war, hat selbst ihr Ex-Ehemann die Schmid nicht mehr erkannt. Also echt – er hat sie prompt im Supercenter angebaggert. Jedenfalls wurde sie dann – so metamorphiert – Fünfte an der Miss-Nordwestschweiz-Wahl… und jetzt moderiert sie das Wetter auf dem Lokalsender!»

Ich wollte keine Wolken moderieren. Ich wollte wieder die Sonne sehen. Und fleckenlos sein. Also besuchte ich Doktor Olli. Der zeigte Verständnis: «Aber so ein paar Altersfleckchen sind gar nichts … die löffeln wir im Nu weg!»

Herr Doktor Olli beteuerte mir, dass dies «ganz im Trend» liegen würde: «Immer mehr Männer wollen die Schönheits-OP. Wir zapfen dem starken Geschlecht das Bauchfett ab, so wie die Scheichs das Öl aus dem Wüstenboden…»

Für einen kurzen Moment sah ich das Nilpferd als Gazelle. Der schöne Traum wurde sofort relativiert: «Das Abfetten mit allem Drum und Dran dauert gut zwei, drei Wochen. Die Fleckenreinigung nur 40 Minuten!»

Natürlich machte Innocent auf schrille Sparsau.

ZUERST MECKERN. UND DANN KNEIFEN!

DAS HABE ICH GERNE.

«Aber Dummilein, das mit den Fleckchen war doch nur ein kleiner Scherz. Du gefällst mir auch als lustige Landschaft voller Maulwurfhaufen... ich meine: SO EINE OP BEZAHLT DIE KASSE NICHT!»

Ich hatte jetzt Oberwasser: «Mein Inneres ist zutiefst befleckt worden … und mein Äusseres ist es schon. Also krieg dich ein – und salbe mir die Flecken mit dieser Pommade voll…»

Ich weiss nicht, wozu die Salbe gut war. Aber Doktor Olli hat mir eingeschärft, alle dunklen Stellen zwei Stunden vor der OP damit vollzukleistern. Und dann den ganzen Körper mit einer Frischhaltefolie einzuwickeln. Das Resultat sah aus wie ein gestrandeter Wal im Tiefkühlfach. DANN KAM ICH UNTER DIE LÖFFEL.

Man darf ruhig sagen: Eine abgeschlachtete Sau war nichts dagegen!

Doktor Olli lachte herzlich: «So – für einmal gabs Metzgete im Frühling. In zehn Tagen werden Sie mir auf den Knien danken…»

Sie klebten 53 Wundstellen mit Gaze und Heftpflaster zu. «Ein dadaistisches Spätwerk», schaute Innocent verklärt. Dann knipste er alles für Facebook. Es fing die Zeit der Dürre an. Das heisst: Die Wunden verheilten. Und mit der Zeit bildete sich dunkler Schorf.

Ich rief Doktor Olli an: «Ich bin schon ganz schön krustig …» Er lachte: «Drei weitere Tage – dann knusprig. Bleiben sie weiterhin im Ofen … hähähä!» Wie gesagt: auch er ein Scherzkeks.

GANZ LANGSAM WURDE ICH SCHNEEWITTCHEN. Und als dieses mit einer Haut wie Elfenbein vor seinem griechischen Joghurt sass, meinte der Giftzwerg vis-à-vis: «Es wäre in einem gegangen: Du hättest deinen fetten Ranzen auch gleich schlachten lassen können…»

Da ging das hochschwangere Schneewittchen ins Schlafzimmer. UND TOBTE SICH AN SEINEM PUNCHING-BALL AUS.

(Der Punching-Ball war ein Tombolagewinn an einer «Benefiz-Gala für geschlagene Frauen» gewesen.)

Dienstag, 22. März 2016