Von Verstimmungen in Aleppo und Granatapfelsaft

Donnerstag Innocent ist verstimmt. Seelisch.
Und bauchtechnisch.
Mit letzterem Handicap hätte ihn Herr Hitzfeld sicher auf die Reservebank gesetzt. Da mir in Syrien keine Reservebank zur Verfügung gestellt wurde, habe ich Innocent mit Imodium zugestopft:
«... und wenn du noch ein einziges Mal bei diesen Strassenhändlern deine Granatapfelsaft-Schau abziehst, streiche ich dir die Stopftabletten. Und du hast zum letzten Mal weisse Jeans getragen!»
Syrien ist natürlich nichts für jemanden, der die Pizza mit Chianti runterspült. Und als Herr Innocent den ersten Strassenhändler sah, der aus einem trompetenblechgoldenen Gefäss Rotes in Becher abfüllte, stand er sofort freudig an.
ES WAR ABER KEIN ITALIENISCHER FUSEL. Es war reinster Ganatapfelsaft. Und ihr werdet jetzt fragen: ja schmeckt denn so etwas?
ES SCHMECKT. Zwar etwas pelzig auf der Zunge.
Aber immerhin.
Nachdem unser Freund gleich zwei von diesen trüben Bechern ausgenuggelt hatte, blieb er noch genau eine halbe Stunde fit. Und dicht. Als wir aber in dieser herrlichen Zitadelle von Aleppo auf dem Hügel, wo schon Abraham seine Schafe weiden liess, standen... als wir da viele hohe Stufen hinaufgekeucht waren, den ausgetrockneten Burggraben und das viele Hundert Jahre alte Hammam bewundert hatten (dieses Bad, wo die Syrier schon immer Dampf abliessen)? also da dampfte auch Innocent. Er zupfte mich am Ärmel:
«Ich glaube, ich muss...».
UND JETZT SUCHEN SIE MAL IN EINER ZITADELLE, DIE SO WACKLIG IST WIE DIE ZÄHNE DER KEMBSERWEG-OMI DEN ORT, WO INNOCENT KANN, WENN ER MUSS.
Ich versuchte es auf Französisch. Auf Englisch. Italienisch.
Und in Verzweiflung, weil Innocent schon rhythmisch zu zuckeln begann auch in heimischer Prosa: «WHERE IS THE VERDAMMTE SCHEISSHAUS? »
Aber die wunderbaren Menschen in ihren gewundenen Kopftüchern lächelten nur sanft. Sie machten eine leichte Verbeugung: «Welcome».
Sie «welcomen» immer. Und nur.
Wenn wir im Hotel nach Kaffee fragen, heisst es «Welcome».
Wenn wir um Preise feilschen: «Welcome!»
Und selbst wenn wir uns erkundigen, ob die Läden denn am Freitag wirklich alle geschlossen hätten:
«Welcome!».
Da wir so ziemlich die einzigen Touristen ringsum waren, wurden wir von den Zitadellenwärtern, den Wasserpfeifenverkäufern und Kamelvermietern keine Sekunde aus den Augen gelassen.
ES WAR ALSO NIX MIT:«ICH GEH MAL HINTER DIE MAUER!»
Aber ALLAH ist einsichtig. Er schickte uns ein vergammeltes Blechplakat mit einem Strichmännchen drauf. UND DORT HINTEN WARS DANN.
Nicht auszudenken, wenn Innocent eine Frau gewesen wäre. Es gab keine Strichfrauchen.
Die seelische Verstimmung unseres lieben Freundes aber basiert auf der Tatsache, dass an allen Ecken und Enden nach mir gerufen wird.
JAWOHL. NACH MIR.
Mein erster Gedanke: «... Tele Basel. Auch hier!»
Mein zweiter Gedanke: Jusef, unser Fahrer, hat ihnen von meiner Schokolade erzählt. Natürlich war es kein Intelligenzbeweis, Schokolade nach Syrien einzuführen. Aber ich dachte mir: Was in Italien funktioniert, mundet auch den Syriern. Und öffnet Tür und Tor.
Leider dümpeln die Temperaturen in Aleppo um satte 45 Grad? und die Schokolade ist dann keine solche mehr. Jusef hat herzlich gelacht und den Matsch an seine zwölf Kinder verteilt. Ich vermutete nun, dass die Syrier, diese Schleckmäuler, bei denen der Honig wie das Geigengesumse von André Rieu durch das Süsse trieft... also ich vermutete ganz einfach, dass die Syrier auf meinen Schokoladenmatsch scharf waren. Deshalb «Chammmmel... Chammmel!! Chammel...»
ABER SIE WAREN NICHT SÜSSSCHARF. Sie rufen nämlich immer und überall so etwas wie «... Chammel... Chammel!». Und es heisst weder Hammel noch Kamel, sondern ganz einfach nur «tschüssli». (So etwas musst du ja auch zuerst einmal schnallen).
Ich habe also sofort aufgehört, nach links und rechts zu winken. Und der nunmehr durch die Pillen verstopfte Innocent konnte sich gar nicht mehr einkriegen. «Es muss sich ja nicht die ganze Welt um die Hammels drehen... du bist wie dein Vater selig... und selbst in Syrien fehlt dir jede Demut und Vernunft und...»
DAS WAR DIE PARTNERKRISE BEI 45 GRAD IM SCHATTEN.
Ich meine: da hätte sich Herr Obama aber mal seinen Nobelfriedenspreis redlich abverdienen können.
Immerhin? ich entschuldigte Innocent stumm. Es ist nicht einfach, mit Imodium und Granatapfelsaft auf Entzug zu leben. Dennoch: Ich hätte statt der Schokolade wohl lieber 20 Flachmänner mit Grappa mitnehmen sollen.

Samstag, 7. November 2009