Von der Kälte in Kairo und Männerfreundschaften

Donnerstag Alle haben gesagt: «Es ist Sommer in Kairo... pack die Badehose ein. Sonst nicht viel.» So wurden es eine etwas zu knapp gewordene Bermuda und ein T-Shirt im soften Pink des rosa Panthers sowie mit der flott bestickten Aufschrift: «NUR SEX IST SÜSSER».
Meine Freundin Bea, die als Kennerin der Pyramidenszene gilt, weil sich ihre grosse Schwester als Journalistin im Stadtteil Dokki jeden Tag die Finger über die Scharmützel im Nahen Osten wundtippt, also Bea stöhnte: «Himmel, hast du ein Glück, der schweizerischen Kälte zu entfliehen. Es warten warme Nächte am Nil auf dich...»
So bin ich also hoffnungsschwanger und heisssommerlich gekleidet in die Egyptair eingestiegen. WER AHNT SCHON, DASS DIE EINEN IN DREIEINHALB FLUGSTUNDEN ZUR TIEFKÜHLLASAGNE RUNTERFRIEREN.
Als ich in der versprochenen heissen Kaironacht auftauen wollte, war erstens Ahmed nicht da. Und zweitens fegte ein Sturm diesen Wüstensand rum, als ob Max Factor seine sämtlichen Puderquasten durch den Eiskanal drehen würde. DA STAND ICH ABER SAUBLÖD DA MIT MEINEN KNAPPEN BERMUDASHORTS UND DEM ROSIGEN «NUR SEX IST SÜSSER».
Ahmed war natürlich nirgends.
Schon damals, als wir in Rom bei Dante Alighieri Vokabeln gebüffelt haben, ist er immer zu spät gekommen. Dieses Mal ist er im Verkehr steckengeblieben! Mein Handy japst, als ob es Asthma hätte, elektronische SMS-Notschreie durch: «WAIT! WAIT! I?M COMING!»? und als er dann endlich mit seiner Klapperkarre anratterte, trug er prompt einen pelzgefütterten Trenchcoat: «It?s ice-time in Cairo.» Mein ägyptischer Freund beäugte mich kopfschüttelnd. Das Rosige gefiel ihm nicht? und das knappe Beinkleid liess ihn vibrieren: «Hast du keine anständige Hose? Die verhaften dich vom Fleck weg...»
Ok. In meinem Koffer warteten weitere vier Bermudas, das Strohhütchen mit den Nelken und Sonnencreme. Ich wusste: Als Erstes würde ich eines dieser langen Nachthemden kaufen müssen, die sie hier Galabija... nennen. Die Dinger sind geradezu ideal geschneidert, um fette Bäuche zu kaschieren. Das Problem wird allerdings die Farbe sein: zuckerwattiges Rosa oder ein osterstrohiges Lindgrün liegen nur selten im Regal...

Freitag Der Muezzin kräht früher als der Güggel von Leymen.
Gestern Nacht haben mir Ahmed und Ali noch stolz ihre «Zone» gezeigt. Das Quartier ist etwa sechs Mal so gross wie der Kanton Zürich. Immerhin zählt ganz Kairo schon um die 25 Millionen Einwohner. Es seien aber bedeutend mehr? mutmasst Ahmed. Die Regierung habe das Zählen schon lange aufgegeben.
Ali und Ahmed leben als Männerpaar in Kairo. Das gefällt vielen Gläubigen hier nicht. Die beiden sind bereits zum dritten Mal umgezogen, weil Fanatiker ihre Wohnung abgefackelt haben. Ahmed kommt aus reichem Hause. Da hat er Glück. Noch mehr Glück hat er, dass eine Mutter hinter ihm steht, die allen religiösen Traditionen trotzt. Und ihren Sohn mit dessen Freund glücklich sein lässt.
Ok? natürlich musste sich auch Ahmed eine Frau suchen. Immer, wenn der Druck in der Familie allzu stark wurde, hat er sich zum Schein verlobt. Und dann bei der Hochzeit das Handtuch geworfen. Der Vater hat ihn daraufhin geknüppelt. Und aus dem Haus geworfen. Die Mutter aber hält zu ihm. Und findet stets neue Wohnungen in einem der zahlreichen Kairoer Quartiere.
Sobald die Leute «zu reden» beginnen, ziehen die beiden Männer weiter? «Es ist sonst zu gefährlich», zuckt Ali die Schultern. «Aber man gewöhnt sich dran... wir packen unsere Kisten schon gar nicht mehr aus.»
Über all dies haben wir eine Nacht lang gequatscht? alle drei gemeinsam an einer Wasserpfeife saugend. Dann musste ich auf die Gästecoach. Und das war ja nun nicht gerade das «Ritz».
Überdies soll mir keiner mehr etwas von ägyptischer Wärme daherfaseln? DAZU IST UM DICH HERUM ALLES EISKALTER MARMOR. Da frierst du dir den Arsch im Zeitraffer zu Glatteis.
Um fünf Uhr morgens ging vom Minarett dieser Muezzin ab Konserve los. Das Tonband schepperte wie die Bahnhofsdurchsagen im alten Russland. Eine halbe Stunde später wurde es Morgenstraich? im Nachbarhaus trommelten Pauker ein paar Hundert Koranschülern die Worte Allahs ins Herz und Gehirn. ICH NUR DREI FENSTER DANEBEN.
Ali schob mir einen Tee hin, den er mit Honig und etwas Rosenöl gewürzt hat: «Das ist jeden Morgen so... man gewöhnt sich an die Trommelschläge... überdies werden wir wohl nicht mehr lange bleiben. Wir haben anonyme Drohbriefe bekommen... der Bäcker bedient uns schon lange nicht mehr... die Mutter sucht wieder eine Wohnung...»
Dies irgendwo in Kairo. In irgendeinem der vielen Quartiere. Unter 25 Millionen Menschen.

Donnerstag, 2. April 2009