Von den Gourmet-Höhenflügen einst und heute...

Donnerstag Innocent kocht.
Nichts dagegen.
Aber wenn er kocht, macht er immer gleich eine ganze Oper daraus. Nicht, dass er einfach seine Hörnli ins Salzwasser werfen und die Dose mit dem Apfelmus aufbüchsen würde. OHNEIN! OHNEIN! OHNEIN! So einfach geht die «Pasta al Sugo di Mele» des frisch erblühten Hobbykochs nicht.
Stundenlang blättert er vorher Kochbücher durch, schnalzt vielsagend mit der Zunge und verwirft schliesslich den Vorschlag «pochierte Zahnbrasse auf Froschschenkel-Mousse». Aber nicht, weil ihn die amputierten Frösche anrühren würden. Nein. Nur weils auf Zahnbrasse gerade keinen Aktionsverkauf gibt...
Stundenlang nervt er nun das ganze Haus mit den Rufen «Wo sind die handgeschriebenen Rezepte meiner lieben Mutter?» Dabei wissen wir doch alle, dass das einzig Handgeschriebene seiner lieben Mutter eine Serie von Protestbriefen an ihre Nachbarin war, welche den Gingko-Baum zu nahe ans gegnerische Gartenmäuerchen gepflanzt hatte.
Die «schönsten Rezepte» seiner Super-Mamma aus jener wunderbaren Zeit, als die alte Marie noch für ein paar aufmunternde Worte sowie einer Tafel Schokolade Weihnachtsgeld mit der Silberplatte am Tisch rumging, hat sich nämlich auf «Ananas in Dosen», ein altes Familiendessert, das mit einer blutroten Büchsenkirsche pro Loch die verwöhnten Gaumen erfreute, beschränkt. Da nur eine Scheibe pro Kopf dosiert war, versteht man den Titel «Ananas in Dosen?»
Damit möchte ich mit keiner Silbe die Kochkünste der guten Frau infrage stellen. Die haben damals alle so rumgemixt! Es war das Zeitalter, als man als Büchsenöffner-Fabrikant noch Millionen machen und dann zufrieden nach Wollerau zu seinen Freunden wegziehen konnte.
Kurz? es war eben diese lustvolle Aufbruchsepoche nach dem Krieg, als unsere Soldaten ihre Gewehrbüchsen im Felde gegen Büchsenravioli am Herd eintauschen mussten.
So wie die jetzige Junggeneration durch die Tastaturdruckerei der Mobiltelefönchen bei SMS-Gesülze (HI PADDY... HIER NACKTBADEN AM STRAND... HEISSE BRÄUTE MIT MEGA MELONEN... VIEL GELATI UND MÜCKEN...WAS DU?») sowie unsere Grosskinder also bereits mit zehn Lenzen Sprache und Finger deformieren und die Wissenschaft über tennisschlägergrosse Handydaumen bereits erste Doktorarbeit publiziert, so hat man zur Zeit von Innocents frohkochender Mamma vom Büchsenöffner-Syndrom bei stark entzündeten Handgelenken gesprochen.
UND NUN WILL MIR DIESER ANGEBER ALSO ETWAS VON EINEM HANDGESCHRIEBENEN REZEPTBUCH DIESER DOSEN-OMA VORSABBERN.
Natürlich hat seine Mutter wunderbar gekocht. Hat meine ja auch. Nie im Leben habe ich solche Spaghetti gegessen wie die Spaghetti Napoli jener verrückten Zeit?
NIE MEHR!
Tatsächlich ist dieses rote Pulver, mit dem die fröhliche Mamma rumwerkelte, heute nicht mehr im Handel. Oder dann höchstens noch an Ostern als Eierfarbe «ZINNOBERROT».
Tatsache ist, dass meine Mutter das Pulver mit Wasser vermischte, alles nur ganz kurz aufbrühte, dafür aber die Spaghetti sicher eine halbe Stunde im Sprudelwasser so weich kochen liess, dass die Pasta spielend als Vorstufe des Pritt-Klebestifts durchgegangen wäre.
ABER UNS HATS GESCHMECKT. Besonders, weil noch viel gerapster Emmentaler über die ganze Chose kam und dieser dann Fäden zog wie der Spinnerinnen-Chor im «Fliegenden Holländer».
Als wir in Rimini dann Ende der 50er-Jahre zum ersten Mal «rote Spaghetti» aus einem Gemüse, das sie «pomodori» nannten, vorgesetzt bekamen, schrien wir Zetermordio. Und wollten «so etwas» nicht essen.
Arturo der Kellner war kulinarischen Kummer mit Nordlichtern gewohnt. Er schleppte Fischstäbli mit Mayo sowie Kartoffelchips aus der Tüte an. Und wir schrieben begeisterte Karten über die Alpen: «Das Essen in Italien ist himmlisch!»
Endlich eiert Innocent aus seinem Studierzimmer in die Küche zurück. Hier sieht es aus, als hätte die Hamas gewütet. Innocent aber macht wieder auf lukullischen Zungenschnalzer: «Ich habe das Buch gefunden? Lust auf Weissbrot-Klopse nach Art meiner Mamma?!»
MIR WIRD SCHLECHT!
Ich weiss, wie die sparsamen Basler Familien vor einem halben Jahrhundert die Resten unter dem Stichwort «Klopse» verwertet haben! Jede Mülldeponie ist harmlos dagegen. Heute würde der Entsorgungsdienst für solche Rezepte einen Giftschein verlangen.
Neugierig greife ich zum Rezeptbuch. Da steht in Schnörkelschrift: «Die schönsten Rezepte meines Lebens!»
«Der Schwarten ist nicht von deiner Mutter, Gott hab sie selig», sage ich eisig. «Das Buch ist von Friedel Strauss...»
«Aha»? sagt der Hobbykoch ungerührt. Und dann: «Willst du nun die Klopse oder nicht?»
Daraufhin habe ich den Pizzakurier angerufen.
O.k. Das ist nicht so stinkfein wie damals, als die alte Marie noch mit der Silberplatte rumging. Aber der Pizzabote trug nicht nur eine feurige Margherita in der Pappschachtel? er trug auch einen feurigen Hemdenausschnitt mit Freisicht auf sein Schlangentattoo. Das sind die Gourmet-Höhenflüge von heute!

Donnerstag, 14. August 2008