Vom römischen Morgen? und der Madonna unterm Blech

Donnerstag Für Frühaufsteher ist Rom ideal: Antik pur. Noch pflegen die Horden von Rucksacktouristen ihre geschundenen Beine in den Hotelbetten. Frühstück gibt es eh nicht vor acht Uhr. Und auch danach ist es eine Katastrophe: ein Kaffee, der nie und nimmer an die köstlichen Düfte erinnert, welche für uns eine italienische EspressOde ist. Vielmehr wird eine Pampelure aufgebraut, die sehr an Kembserweg Omis Muckefuck kurz nach dem Krieg erinnert.
Dazu: drei bereits angehärtete Weissbrotstücke. Und ein Gipfel. Dieser ist mit Vanillecreme gefüllt und kleistert die Stimmbänder zu.
Ich weiss nicht, weshalb italienische Hotels punkto Frühstück noch immer in den Schuhen der sibirischen Volksküche stecken. Das Land mit den TV-Handys am Ohr (Bevölkerung) und dem implantierten Haar im Kurzschnitt darüber (der Präsident) serviert seinen Gästen nach dem Frühturnen noch immer einen Milchkaffee, der sehr an die Sowjetunion und deren Eichelgebräu aus jener kaltkriegerischen Zeit, bevor die Genossen heiss geniessen lernten, erinnert.
Das tönt jetzt sicher sehr rassistisch und soll es ja auch. Aber wer eine Zurückführung in jene Jahre erleben möchte, wo das Grauen in den Moskauer Intourist-Hotels in latschige Pappbecher abgefüllt wurde, soll sich in italienischen Alberghi heute zum Frühstück einfach «Caffè latte» bestellen.
Natürlich frühstückt der Italiener nicht so. Er frühstückt überhaupt nicht. Er trifft sich mit seinen Bürokollegen in der nächsten Caffè-Bar. Und hallo? da sieht die Welt dann schon mehr nach Herrn Clooney und seinem kleinen Tässchen aus. Zwar dröhnt die Espressomaschine wie die landende Flotte dieser Billigmaschinen, die auf Ciampino die Pilger aus aller Welt ausschütten. Es zischt, keucht und dampft aus verschiedensten Röhrchen, mit deren Heissluft der Barista die Milch aufschäumt. Die römischen Frühstücksbars beweisen jedem, dass die italienische Wirtschaft noch Volldampf hat. Und der Gipfel, den einem Franco, das geile Luder hinter dem Tresen, entgegenstreckt, ist knackig. Leicht gesüsst. Und mit dem dunklen Aufstrich von Nutella durchzogen.
Durchgeweicht sind diese Frühstücks-Cornetti dann erst nach 12 Uhr mittags. Doch da trinkt ein richtiger Italiener eh keinen Cappuccino mehr. Und hat für den Tag ausgegipfelt.
Ich liebe diese römischen Morgen, wo man das Kapitol nur mit ein paar Tauben teilt. Der Blick aufs Forum Romanum ist noch ungetrübt von vorbeizuckelnden hässlichen Beinen in Mini-Shorts und wippenden, hochgehaltenen Stecken, an denen bunte Halstücher jeweils die Führerin darunter anzeigen.
Träge schlurfen Ugo und Renato an. Die beiden verdienen sich ihr Studium als römische Krieger. Zu ihrer vornehmen Aufgabe gehört es, schrill kreischende Touristinnen zu umarmen und diese für ein kleines Aufgeld an ihrer Blechbrust fotografieren zu lassen.
Schon streifen sich die beiden die Hosen runter und ziehen das römische Röckchen darüber. Dort, wo Madonna noch vom T-Shirt lächelt, kommt die Rocksängerin jetzt hinter Blech. Gianni und Renato schnallen sich eine trompetengoldene Rüstung an den Ranzen. Und büchsen sich einen funkelnden Helm auf. Der Helm hat einen schmalen Busch aufstehender, roter Haarbüschel und erinnert weniger an Berlusconi als an die Skinhead-Frisen von einst.
Das einzig Aktuelle aus dieser unschönen Zeit ist der Donald-Burger, den sich die beiden zur Stärkung reinwürgen, bevor sich die erste Dallas-Touristin an ihr Blech legt? an ein Blech, unter dem Madonna Pause macht.
Von ferne sieht das Kolosseum wie ein riesiges, irrtümlich gestrandetes U-Boot aus. Die ersten Tamilen bestücken jetzt ihre Souvenirständchen mit langnasigen Holz-Pinocchios, gesegneten Rosenkränzen aus China und dem amtierenden Papst als Laptop-Hülle. Das Lächeln des Papsts ist so kühl wie der Morgenwind, der ihm die Billigst-Kochschürzen ums geweihte Haupt weht. Auf den Kochschürzen wiederum ist Davids schönstes Stück abgebildet. Darüber in Spaghetti-Schrift: «The best noodle of Italy!»
Na ja. Wir alle wissen, dass es bessere gibt.
Ich spaziere nun zum Pantheon, das seine schwerbleiernen Tore bereits offen hält. Aus dem riesigen Kuppelloch wirft die Sonne eine Handvoll Goldstrahlen? und in den Ecken schauen die Heiligen genau so düster in den kommenden Tag, wie 2000 Jahre vor ihnen die römischen Götter mit stummen Marmorgesichtern die Morgenstunden willkommen geheissen haben.
Auf meinem Handy meldet sich Susanne. Sie ist mit der ganzen Familie in die Ewige Stadt gereist. Ihr Göttergatte feiert 60 Jahre und das Ereignis wollte er römisch absegnen.
Nun sitzt alles beim Frühstück auf der Hotelterrasse: «... es ist einfach umwerfend», jubelt Susanne ins Telefon. «Überall diese Geschichte... und das Alte ringsum... und da sind ja 60 Jährchen vom eigenen Alten gar nichts dagegen... GAR NICHTS, sage ich dir... nur der Kaffee... ich habe immer gedacht, die Italiener könnten Kaffee kochen, aber...»
«Geh in die nächste Bar», gebe ich den Tipp des Tages durch. Und kehre in meine kleine Wohnung zurück. Schliesse den römischen Touristen-Disney-Alltag aus. Und schalte Herrn Clooneys Nespresso-Maschine an.

Donnerstag, 23. Oktober 2008