Wonnenippelchen...

Louises Ehe war ganz o.k.
Keine grossen Höhenflüge.
Nein. Es gab den jährlichen Flug nach Sardinien. Toskana. Und es gab die grosse Familienfete am Heiligen Abend. D A S liess sich Louise nicht nehmen. Auch wenn es mit all den Enkelkindern immer mehr Gäste abzufüttern galt. Und sie allmählich an ihre Grenzen kam.
Nun gut. Sie war kein «junges Rehlein» mehr. Aber für ihren Gatten blieb sie «mein Wonne­nippelchen» ? wie Ernst sie liebevoll nannte. Er streichelte ihr dann zärtlich die Hände ? besonders wenn diese ihm gebratenen Fleischkäse mit Spiegeleiern servierten. (Die «Wonnenippelchen» hatte er schon lange nicht mehr gestreichelt.)
Na ja ? Ernst war ein simpel gestricktes Gemüt. Realschule. Buchhalter-Diplom. Fussball am Fernsehen.
In den guten Jahren wurde er zum Prokuristen befördert ? in den schlechten als Frührentner entlassen.
Louise hatte befürchtet, er würde ihr dann im Ruhestand zu Hause auf den Wecker gehen ? FALSCHER ALARM. Ernst probierte allerlei Hobbys aus. Modellflugzeugbau. Japanischer Kochkurs (fünf Wochen lang hatten sie jeden Abend Sushi gegessen, nur weil er das mit der Rolle nicht ganz auf die Reihe bekam). Und dann: Besuch eines Computerkurses.
Im Geschäft hatte seine Sekretärin ihm die E-Mails noch tippen und ausdrucken müssen ? aber nachdem Werbung und Fernsehen die Menschen immer vermehrt dazu aufforderten, unter «www.» nachzuschauen, kam sich Ernst bald einmal wie ein Ausserirdischer vor. Also besuchte er bei Pro Senectute einen Einsteigerkurs. Bald kam auch ein Computer ins Haus. Nun verbrachte er in seinem Arbeitszimmer Stunden davor.
LOUISE WAR ES RECHT SO.
Allerdings nur bis zu jenem Moment, als sie vor dem Pult staubsaugte und zufällig einen Blick auf den Bildschirm warf. «MEIN LIEBES MAUSESCHWÄNZCHEN? WAS WÜNSCHST DU DIR DENN VON MIR?» musste sie lesen.
JA HALLO ? DA WAR DIE KACKE ABER AM DAMPFEN!
Ernst war immer alles andere als ein Don Juan gewesen. Erotisch auf der Lahm-Ei-Seite. BIS JETZT. Louise vertraute sich am Telefon heulend Erna an. «STILLE WASSER GRÜNDEN TIEF!», unkte diese. Am Abend gab es keinen Fleischkäse mit Spiegel­eiern. Sondern: «MACH DIR SELBER ETWAS!» Ernst sperrte die Augen gross auf: «Was ist denn los, Nippelchen?!»
«ES HAT SICH AUSGENIPPELT!», schluchzte Louise. Dann knallte die Türe. Und: SCHLAFZIMMER ABGESPERRT!
Am anderen Tag feierte die Familie den zehnten Geburtstag von Enkelkind Lucie bei den Gross­eltern. Mit verweinten Augen richtete Louise den Festtagstisch her. Ernst schlich wie ein geprügelter Hund herum: «Wenn du mir wenigstens verraten könntest?»
«NICHT JETZT», kam es eisig, «das Kind soll einen schönen Nachmittag haben?»
«Es wird aber kein lustiges Fest, wenn ich nicht weiss?»
«Ich sage nur: STILLE WASSER? UND M A U S E S C H W Ä N Z C H E N!»
Da schellte es. Die Familienherde kam herein­gestürmt. Für einen Moment vergass Louise all ihren Schmerz. Sie drückte Lucie an sich. Knuddelte die Kleine. Und hörte plötzlich: «Ja will denn mein kleines Mauseschwänzchen dem Opi nicht Hallo sagen?»
Lucie kicherte: «Hast du mein Wunschzettel- E-Mail bekommen?»
Da heulte Louise auf. Und sank dem verdatterten Gatten an die Brust.
«WONNENIPPELCHEN??!»
«Von wegen Wonnenippelchen?», schluchzte sie, «sag einfach:?dumme Kuh!?»
Zum Nachtessen gab es Fleischkäse mit Spiegelei.

Montag, 6. Mai 2013