Kolumnen

Wenn Lokalchef Onkel Fritz Stoffnot hatte, zündete er sich genervt eine seiner ägyptischen Zigaretten an. Und brüllte durch die Redaktionsgänge: «Heee, ihr Pfeifen? schreibt noch ein Geschichtlein!»
Ich hockte mich an die Schreibmaschine. Hieb in die Tasten. Und spintisierte etwas über eine Ente zusammen, welche politisch ultralinks stand und mit Vorliebe Zuckerschnecken frass.
Zu jener Zeitungszeit hiess so etwas «mimpfeln». Aber eigentlich war die Mimpfel-Geschichte eine Kolumne. Und ich ihr Kolumnist. Nur wussten wir es beide nicht. Und lebten glücklich mit unserer Ignoranz.
Den Freitagnachmittag erkannte man daran, dass die Bürotüren der Chefs verschlossen waren. Ein Schild «NICHT STÖREN? KOMMENTAR!» verriet, dass hinter der Türe enorm Wichtiges ausgebrütet wurde. Das Wichtige war dann ein Kommentar zum Thema: «Wie verbessere ich die Welt». Beim Kommentar zeigte ein kleines Foto ein noch kleineres Köpfchen, das ernst blickte. Den Intellektuellen wars schon damals nicht ums Lachen, wenns um ihre Welt ging...
MAN KANN SICH VORSTELLEN, WELCHEN STELLENWERT NEBEN SO GEWICHTIGEM EINE KLEINE ENTE HATTE, DIE ULTRALINKS STAND UND ZUCKERSCHNECKEN FRASS.
Entsprechend wurden damalige Kolumnisten (die? wie erwähnt? keine Ahnung hatten, dass sie solche waren) in der Rangordnung eingestuft.
Sagen wirs so: Man übersah sie freundlich. Etwa so, wie man heute das Putzpersonal aus einem dieser seltsamen Ostländer ignoriert, wenn sie ihre Karren mit den Fensterputzreinigern, Flaumern und Lappen herumstossen.
Solches Verhalten änderte sich abrupt, als die ersten Studien über Lesergewohnheiten publiziert wurden. Plötzlich war es hip, zu wissen, was der Leser möchte. Welche Zeilen er einsaugt. Und welche er überblättert.
ER ÜBERBLÄTTERT SEHR OFT UND GERNE KLUGSCHEISSERISCHES.
UND ALS SICH DA HERAUSSTELLTE, DASS DIE DUMMEN GESCHICHTLEIN MEHR GELESEN WURDEN ALS DIE FREITAGSKOMMENTARE, DA WURDEN SIE ZU KOLUMNEN. UND BEKAMEN AUCH EIN KLEINES KÖPFLEIN. (Das allerdings lachte.)
Daraufhin wurde diese Art von trivialen Schreibern von den intellektuellen Kommentatoren nicht mehr freundlich übersehen (wie heute? und bereits erwähnt? die Scheibenputzfrau aus Krakau). NEIN. MAN SCHICKTE DIESEN SCHREIBENDEN NÜSSEN BLICKE, DIE EINE TÖDLICHE MISCHUNG AUS VERACHTUNG, NEID UND HASS WAREN. (Das war ja auch der Grund, weshalb das Kolumnisten-Bildchen aus vollem Herzen lachte...)
Es wurde nun hip, eine Kolumne zu schreiben. «Nächte der Kolumnisten» wurden ausgerufen. Und so wie jeder reiche Earl sich eine Zuchtstute hält, hält sich heute jeder Verleger einen Stall mit Kolumnisten. Oder -INNEN.
Kolumnisten werden gehätschelt wie Primadonnen. Man schickt sie zu den VIP dieser Welt. Ehrt sie mit Kolumnisten-Oscars. Und vergisst dabei ganz, dass auch die märchenhaften Brüder Grimm Kolumnisten waren.
Bei so viel Kolumnistentum ist mir das Wort «Geschichtenschreiber» fast wieder sympathisch geworden. Ja, wenn heute Onkel Fritz seine ägyptische Zigarette anzünden würde, könnten wir die Türe schliessen. Ein Plakätchen raushängen: «ACHTUNG RUHE? HIER WIRD EINE MONTAGSGESCHICHTE GESCHRIEBEN!» Und dann auf die Schreibmaschine reinhämmern.
Aber Onkel Fritz ist tot. In der Redaktion darf nicht geraucht werden. Es gibt keine Schreibmaschinen mehr. Und Grossraumbüros haben keine Türen.
Deshalb: ACHTUNG? DIESE GESCHICHTE IST KEINE. SONDERN EINE KOLUMNE.
Danke.
Ein Schild «nicht stören? Kolumne!» verriet, dass Wichtiges ausgebrütet wurde.

Montag, 30. August 2010