Von gelandeten Russen im Spitalhof und Ameisen

Donnerstag - Seit unsere liebe Linda einen unachtsamen Schritt getan hat und vom 2er-Tram erfasst worden ist, hat sich das Leben verändert.

KEINER DA, DER MIT VOGUE SLIM DIE WOHNUNG AUSRÄUCHERT.
KEINER DA, DER 20 MAL IM LEBEN «SCHEISSE? SCHEISSE? SCHEISSE» SAGT.
UND KEINE MEHR DA, DER MEINE PUTZFRAUEN MIT «HIER ABER AUCH PUTZI - IHR DRECKSCHLAMPIGES!» ZUM HÜPFEN BRINGT.
Einfach nur Stille. Traurige Stille. Das Licht im Hinterhaus, das erloschen ist. Und mich zum Empfang nicht begrüsst.
Einen langen Monat ist Linda im Koma gelegen. Dann hat ihr Freund mich angerufen: «Sie ist wieder unter uns. Komm schnell? sie spricht.»
Für einen bissigen Moment dachte ich, wie schön die schweigende Linda gewesen ist.
Als Erstes wollte sie Schokolade. Die Schwestern bauten eine Krise, als sie die nun sehr wache Linda an dem dunklen Rippchen rummümmeln sahen: «Das geht nicht. Sie kann noch nicht schlucken!»
Linda lächelte der Schwester entgegen: «Da ist ein Flugzeug gelandet. Alles Russen drin?»
«Sehen Sie - die Schokolade verwirrt sie», schaut die Schwester uns anklagend an.
«Willst du, dass ich dir deinen Stoffhasen bringe?» - streichle ich Linda über das hennagefärbte Haar. Die Spitzen sind bereits wieder kraus und grau. Die Büschel flammen an Lindas Kopf hoch wie die Gasflammen auf dem Herd der Witwe Bolte.
Linda schaut mich fragend an. «Ja. Frage Tante Lenchen, ob sie Hyazinthen auf Grabiges will?»
«Sehen Sie!», sagt die Schwester triumphierend.
Walter streichelt Lindas Wangen: «Das bekommen wir schon wieder hin, nicht wahr altes Mädchen?!»
«Ich brauche Cremiges für Gesicht», sagt Linda.
Die Krankenschwester deckt sie lächelnd zu: «Jawohl - Sie sind ein Filmstar.»
Lindas Augen strahlen die Schwester an: «Du bist lieb.»

Freitag - Es gibt Tage, da kübelts dir den Ärger rein wie Regen im November.

SCHEISSTAGE.
Es beginnt schon damit, dass Bea mich am Telefon löchert: Thomas Blubacher hat angerufen. Er hat «Ladies Night» nicht inszeniert. Könntest du das bitte berichtigen?»
Zuerst muss ich überlegen: Wer ist Thomas Flubacher?
Bea leistet geistiges Help-up: «Du hast geschrieben, er habe bei Förnbacher Regie gemacht. Das stimmt nicht. Er hat in Zelle Walsers «Zimmerschlacht» gemacht. Am Schlosstheater. Grosser Erfolg. Für Förnbacher macht er seit zwei Jahren nichts mehr?»
Und weiter?
«Weiter hat Frau Kümmerli sich beschwert?»
ACH GOTTCHEN: KÜMMERLIS KUMMER AUF MEINEN MORGENNÜCHTERN MAGEN!
«? du hättest sie gestern um 16.15 Uhr besuchen sollen.»
ACH SO. Physiotherapiert sie? Oder hat sie ein Schokoladengeschäft?
Bea wischt bissige Pointen energisch aus dem Telefonhörer: «SPIEL HIER NICHT DEN CLOWN! FRAU KÜMMERLI ERWARTETE DICH MIT IHRER TOCHTER MARIA-HUBERTA. SIE WOLLTEN VIERHÄNDIG KLAVIER SPIELEN?»
Ja so?
«JAWOHL. DU HAST DICH ANERBOTEN, ÜBER DIE BEIDEN WUNDERKINDER ZU SCHREIBEN?»
Lamento: Weshalb brocke ich mir immer solchen Mist ein? WESHALB KANN ICH NIE NEIN SAGEN? Weshalb bin ich die gute Seele dieser schlechten Welt und?
«? WESHALB MUSS ICH DEINE MIESE GÜTE IMMER AUSBADEN?», tobt nun Bea am andern Ende. «ICH HABS SATT, FÜR DEINE NICHT EINGEHALTENEN RENDEZ-VOUS STÄNDIG AUSREDEN ZU BASTELN?»
«Wie alt sind denn die beiden fröhlichen Tastenschlägerinnen?»
Bea hüstelt: «Die Tochter ist 73. Die Mutter hat die Tochter spät gehabt?»
DA BLEIBT NICHT MEHR VIEL ZEIT.
«Ich gehe?», rufe ich in den Hörer.
«NICHT HEUTE!», bellt Bea. «Ich habe gesagt, du liessest dir den Bauch absaugen und hättest deshalb keine Zeit. Sie hatten sofort Verständnis?»
NACH DIESEM GESPRÄCH IST DIE NESPRESSOMASCHINE AUSGESTIEGEN.
Der Pöstler brachte ein fieses Einschreiben vom Steueramt.
UND DIE ERSTEN AMEISEN KURVTEN GIERIG UM DIE ZUCKERBÜCHSE...
Wie gesagt: Es gibt Tage, da regnets dir die Ausrufezeichen bündelweise rein?

Samstag - Besuche Linda im Spital. Sie sitzt am Fenster. Schaut aus dem Fenster: «Soeben ist ein Flugzeug mit 300 Russen in Hofig draussen gelandet?»

«Ja», sage ich. Und: «Wir haben Ameisen daheim?»
Sie dreht sich ruhig zu mir um: «In diesem Hotel hier hat es gestern auf Bettdeckiges geschneit?»

Donnerstag, 20. April 2006