Frisierkommode

«Hans – ich brauche die Perlenkette!»

«Alles klar, Klara!»

Klara sass vor der Frisierkommode. Keine Frau sass heute mehr an einem Frisiertisch.

Klara schon.

Als Hans das alte Haus renovieren liess, als all die wunderbaren Nischen und Bögen einem geradlinigen Denken Platz machen mussten – da hatte Klara sich vor ihren Frisieraltar mit den drehbaren Spiegelflügeln gestellt: «HANS ÄNISHÄNSLI – DER HIER NUR ÜBER MEINE LEICHE!»

Für einen kurzen Blick schaute Hans, als ob er der Leiche den Vorzug geben würde – dann aber seufzte er: «Okay – künftig haben wir eh getrennte Schlafzimmer. Unsereins pennt nicht mit so einem Gräuel!»

Er liess offen, ob er Klara oder die Frisierkommode meinte.

Seither also: alles schnörkellos in Weiss.

Gerade Linie. Kein Fernseher (nur «Bach» aus versteckten Boxen).

Die Jugendstilfenster, durch deren bunte Scheiben das Licht früher Regenbögen ausgegossen hatte, waren jetzt riesige Glasfronten, an denen sich Klara beim Scheibenputzen den Frust abrieb.

Wenn Hans die andere Welt im Schlafzimmer seiner Gattin betrat, überkam ihn ein Würgen.

Waren es die Limoges-Engelchen?

War es der Porzellanelefant mit der Uhr im Bauch?

Sicher war: Klaras klebrig-süsses Parfum («Larmes des Cygnes») bereitete ihm jedes Mal einen Brechreiz. Entsprechend tauchte der Gatte nur selten «in diesem Puff!» auf.

Max bevorzugte auch in der Bei-Schlaf-Atmosphäre die strenge Linie – Eisenbett. Davor: Domina Dominique. Diese mit gradliniger Peitsche.

NUN WAREN SIE ALSO BEI DEN HÄMMERLIS ZUM NACHTESSEN GERUFEN.

Herr Hämmerli war der CEO, dessen Schuhe Hans leckte.

Das gehörte allerdings nicht zu seiner Eisenbett-Neigung.

Hans war einfach nur ein Schleimer.

Er rutschte Karlas Spiegelkommode zur Seite. Und betätigte sich am kleinen Safe dahinter.

Es war der einzig passende Ort für einen Tresor.

Hans hasste Bilder, die einen Tresor hätten cachieren können. (Nur bei Domina Dominique liess er das schwarze Kreuz an der Wand gelten.)

Jetzt also tippte er den Code ein.

NICHTS PASSIERTE.

Wieder eintippen.

NICHTS.

«Klara – hast Du etwas am Safe gemacht?»

«Nein, Hans!»

«ER FUNKTIONIERT NICHT, KLARA!»

«Ohne Perlen gehe ich nicht!»

Hatte er die Kombination geändert?

Aber die war doch immer…ach ja…wie waren die Zahlen noch?

LEERE IM KOPF!

«KLARA!» – das war ein Hilfeschrei.

Sie kam herbeigeeilt: «Du vergisst in letzter Zeit alles, Hans! Gestern hast du Hackfleisch statt Geschirrspüler heimgebracht. Und vorgestern hast Du sechsmal Maggi in die Suppe gesprüht! SECHSMAL!»

Klara trug also keine Perlenkette.

CEO Hämmerli nahm sie beim Apero auf die Seite: «Ist Ihnen bei Ihrem Mann nichts aufgefallen…?»

Um es kurz zu machen: Es war vorbei mit Peitsche, Eisenbett und Domina Dominique.

Ganz langsam füllte sich die weisse Wohnung wieder mit Farbe.

Auch ein neuer Ohrensessel war da.

Hans sass darin.

Wenn seine Frau – besprüht mit «Larmes des Cygnes» – seinen Kopf streichelte, lächelte er happy : «Schöne Frau. Sie kenne ich doch…DIESES PARFUM…ach, Dominique…»

«Ja, Hans», lächelte Klara.

UND HÄNGTE EINEN DRITTEN GOLDENGEL ÜBER DEM FERNSEHER AUF.

Freitag, 16. November 2018