Vom falschen Weg in Apulien und einer Saftkur

Illustration: Rebekka Heeb

«SIE HABEN DEN ZIELPUNKT ERREICHT. DAS ZIEL BEFINDET SICH AUF IHRER LINKEN SEITE!» Auf der linken Seite graste eine Kuh. Und die Kuh blinzelte etwas ungehalten, als wir mit unsern Rädern im Leerlauf Tonnen von Sand aufwirbelten. Wir steckten fest. Und zwar in einer Düne. DAS WAR RECHTS VON DER KUH.

Davon hatte die andere Kuh im Navigationskästchen nichts gesagt.

Die Weidende machte sich nach einem herzhaften Rülpser also links wieder genüsslich über die paar Halme zwischen Hunderten von knorrig-verknorzten Olivenbäumen her. Und apropos verknorzt: NICHT NUR OLIVENBÄUME SIND SO. Ich war jedenfalls auf 100: «Du bist ein Rindvieh… wir hätten eben doch den Wegweisern ‹BENESSERE› folgen sollen. Aber nein! Du vertraust blind dieser nervigen Weiberstimme im Böxchen. Und auf ein paar ausrangierte Satelliten, die dir den Weg aus dem All prophezeien. WAS IST DAS RESULTAT: WIR SIND AM ARSCH DER WELT GESTRANDET …!» – Innocent winkte der Kuh gut gelaunt zu: «Ist doch nett hier. Hast du diese Hörner gesehen … MAMMA MIA! Von so etwas möchte ich nicht aufs Horn genommen werden!» «Dich nimmt eh keiner mehr aufs Horn», gab ichs ihm bissig. Und hebelte an meinem Handy herum: «So. Genug. Ich rufe das Hotel an…» Das Hotel versprach «SCHÖNHEIT… GESUNDHEIT… WOHLSEIN».

Laut unserm Guide lag all dieses Schöne in Vico Equense. Leider war der Guide von Herrn Innocent antiquarisch erstanden worden. Ich möchte mich darüber nicht näher auslassen …

Jedenfalls haben wir die Pracht prompt verpasst. Und standen jetzt vor der Kuh. Immerhin – das Telefon funktionierte. Der Anruf wurde in eine «NUR EINEN KLEINEN MOMENT»-Schlaufe umgelenkt. Aus dem Handy düdelte ein Geigen­orchester. André Rieu versüsste uns das Warten. Er fiedelte das Lied von den Caprifischern. DIES IN APULIEN. BEI 35 HITZEGRADEN. UND EINER MAMPFENDEN KUH DANEBEN!

Endlich meldete sich eine dieser Frauenstimmen, deren Elan jedes Handy vibrieren lässt: «Buon giorno… buon giorno…!» Es war ein richtiges Jauchzen, das wir sofort abdämpften: «Der Tag ist gar nicht buono … wir stecken hier im Sand fest… neben einer Kuh und 100 knorrig-verknorzten Olivenbäumen…»

«???»

«HALLO – IST NOCH JEMAND DRAN?»

«???»

Man vernahm ein Wispern. Unterdrücktes Fluchen. Schliesslich meldete sich eine kernige Männerstimme: «Ik Sergio… ik Berlin gearbeitet… wo du sein?»

NA, WENN ICH DAS GEWUSST HÄTTE!

Die Dame aus dem Navigatorenkästchen hat sich verabschiedet. Und dummerweise keine Adresse hinterlassen.

«Es hat viele Olivenbäume hier…»

Stille. Dann etwas ungehalten: «Apulien vieles Olivenbaum, gutes Mann… alles olivenölig von Stiefel aus Apulien… hier kroatisches Arbeiter billiger für Pflückiges… Toskanisch Bauern kaufen alles Apulienöl und sagen ‹gutes olio della Toscana› … ist aber immer pugliesisches Öl von molto knorrig alt Baum mit dickfett Stamm und billig kroatisches Arbeiter…»

«WENN SIE UNS HIER RAUSHOLEN, SAGEN WIR ALLEN, DASS DAS PUGLIE- SISCHE ÖL BESSER UND BILLIGER IST…»

Der Deal war perfekt.

«…wo sein Herr?»

«Bei einer Kuh mit grossen Hörnern und…»

«Das sein Mucca Loredana – kommen sofort, gutes Mann.»

HERRGOTT GING MIR DIESES «GUTES MANN» AUF DEN WECKER!

Innocent schaute noch immer ganz geblendet zur Wiederkäuerin. Sie lag im Schatten eines der fetten Bäume. Und mampfte den Grassfrass zum zweiten Mal.

«Sie heisst Loredana», sagte ich Innocent.

«Sie hat Augen wie du mit 18», seufzte der schwermütig.

DA MUSS MAN SICH WEISS GOTT NICHT WUNDERN, DASS SICH LEUTE WIE DIESER ANDRÉ RIEU MILLIONEN REINGEIGEN.

So. Der Rest ist schnell erzählt. Sergio hievte uns mit einem Traktor aus dem Sandschlamassel. Innocent warf der Kuh Loredana einen herzzerreissenden Abschiedsblick zu. UND ICH HATTE EINEN AFFENKOHLDAMPF! Leider war ich mit solchen Bauchgefühlen beim Hotel «BENESSERE» falsch am Platz. ABER TOTAL! Das spitalähnliche Gebäude stellte sich nämlich als «Klinik für Wohlbehagen» heraus. Und das Wohlbehagen bestand darin, dass man mir zuerst meinen Sack mit den Schoko-Chips entsorgte: «So etwas wollen wir hier schon gar nicht sehen, guter Mann! Im Vordergrund stehen: GESUNDHEIT UND WOHLGEFÜHL!»

Wir wurden auf unsere Zimmer abgeführt, wo es weder Fernsehapparat noch Wifi-Empfang gab. «Wir wollen jetzt unsere geschäftigen Gedanken alle ausschalten, guter Mann. In zehn Minuten kommt die Ernährungsberaterin. Sie ist diplomiert. Und heisst Antonella.» ALSO AUF SO ETWAS IST UNSEREINS JA GAR NICHT SCHARF. ICH KANNTE DEN UMGANGSTON DIESER GESUNDHEITSTANTEN: «JETZT WOLLEN WIR DEM BALLON MAL DIE LUFT RAUSLASSEN…!»

Nein danke! Leiden kann ich dann in der Hölle … Antonella war eine drahtige Spätfünfzigerin. Sie erinnerte mit ihrem knappen Haarschnitt und den herausstehenden Knochen an ein Windhundrennen. Als Erstes streckte sie mir einen Apfel entgegen: «Ich zeige Ihnen jetzt, wie wir hier einen Monat lang essen … dieser Apfel ist die einzige Mahlzeit am Tag, der Rest kommt in flüssiger Form. Säfte aller Art. Den Apfel hier müssen sie richtig einspeicheln…»

Sie hackte mit ihren Hauern rein. Und hörte nicht mehr auf zu kauen, bis es an meine Türe klopfte. Und Innocent kreideweiss hereinplatzte: «Ich habe mich geirrt … es ist keine dieser Wein­kuren… dabei hat mir Herbert von den Säften vorgeschwärmt. Und ich habe bei Saftkur natürlich an die herrlichen Rotweine Apuliens gedacht… den ganzen Tag nur Primitivo und…»

War mir ja immer klar: HERBERT IST EIN ARSCHLOCH! Nur wegen Innocents Zunftbruder hockten wir jetzt hier bei einem Apfel, den ich ­einspeicheln soll. Und bei Karottensaft. «Sind die Karotten garantiert biologisch, liebe Frau…?», gab ich jetzt giftig zurück. «Mein Freund verträgt nämlich nur Biogemüse. Und dieser Apfel kommt aus Südafrika. So etwas speichle ich nicht!»

Natürlich wurden wir sofort als «zickig» eingestuft. Und sie waren froh, als wir abhauten. Wir dislozierten in eine kleine Pension an den Hafen. Dort schleppte uns die Wirtin einen Teller mit frittierten Tintenfischlein an. Due Eis mit kandierten Früchten. Man musste nicht lange einspeicheln.

Innocent servierte sie eine Karaffe mit Primitivo. DIE WELT WAR WUNDERBAR.

PS. Die kleine Pension hatte sogar Wifi – und einen kroatischen Nachtportier, der einem auch zur späten Stunde noch ein Sandwich strich…

Dienstag, 7. Juli 2015