Von getürkter Macht und Frauenpower…

Illustration Rebekka Heeb

Zuckerkugeln. Und Papierkronentag. Dazu die Frage: Wem winkt das Glück in der Kugel? In der Kugel nämlich versteckt sich die Macht (UND WIR WISSEN ALLE: DAS GLÜCK ­VERBIRGT SICH STETS IM ZWEITEN ZUCKERBOLLEN VON LINKS).

O. k. Wir wissen auch: Nicht das Glück bringt uns an die Macht. Sondern Intrigen. Politisch gezogene Fäden. Morde. Abgeschossene Kugeln. Und hin wie wieder auch ein Schäferstündchen auf der Matratze. Das nennen Politologen dann: sich nach oben strampeln.

SO GESEHEN IST MACHT MIT ZIEMLICH VIEL BEWEGUNG VERBUNDEN. SICHER JEDOCH IST: MACHT HAT KEIN GRAMM MIT BEGABUNG ZU TUN!

SCHAUEN SIE SICH NUR DIE KÖNIGE IN IHRER UMGEBUNG AN – ALLE HERRSCHER AUF DEN CHEFETAGEN UND DEN REGIERUNGS­SESSELN! BEGABUNG? – Nein. Nada. Nullum. Nur lauer Wind und viel Getue …

Die Machtbosse sind hochgekochte Würstchen (nun ja – zumindest viele davon). Die Frage ist: Wann wird der ganze Wurstkessel explodieren? Wann werden die geplatzten Würste anderen Platz zum Platzen und Wursteln machen?

SO WEIT DAS POLITISCHE WORT ZUM TAG DER KÖNIGE.

Harmloser wirkt da die Königskugel mit dem eingebackenen Kunststofffigürchen. WIRKT. Denn auch da wird eifrig geschummelt: Jahrelang war bei uns Mutter die Dreikönigstags-Queen.

Gut. Sie führte auch sonst das Zepter. Sie war gescheit genug, vor den Augen dieser Welt die Zügel meinem Vater in die Hände zu geben – aber es war die Frau dahinter, welche die Hände des Vaters führte. IHR WISST, WAS ICH MEINE.

ÄHNLICHE VERSTECKTE FRAUENPOWER HABE ICH IMMER WIEDER IN MACHO-­GEGENDEN BEOBACHTEN KÖNNEN.

Etwa in Sizilien. Oder als ich einige Zeit in Istanbul lebte. Und meine türkischen Freunde beim Blick ihrer Mütter ins Hyperventilieren kamen, weil sie es gewagt hatten, eine schrille Tucke mit Übergewicht heimzuschleppen.

Wie dunkle Schatten huschen die schwarz verhüllten Frauen unscheinbar durchs Leben. Die Männer der Familie hingegen zeigen Goldzähne. Lassen Muskeln spielen. Und tun wichtig mit den Gewehren. ABER ES SIND DIE MÜTTER, DIE DAS ZIEL BESTIMMEN. SIE SAGEN, WANN DER SCHUSS LOS- UND WO ALLES LANGGEHT.

Ehrlich gesagt bin ich voller Bewunderung für diese stille Art der cachierten Frauenpower. Frauen brauchen ihr Ego nicht mit einem Ferrari aufzupolieren. Sie wissen: Wir sind die Macht.

Ich möchte hier nicht sagen, dass meine gute Mutter (gotthabsieselig) ihren Alten an Marionettenfäden tanzen liess – aber sie hatte Verstand. Und somit die Kontrolle. Das Sprichwort «Hinter jedem mächtigen Mann steckt eine Frau» stimmt. Allerdings nur, wenn die Frau Grips hat.

Als Mann darf ich hier klar bekennen: Leider gripst es bei den Frauen in den meisten Fällen ­besser als beim starken Geschlecht. Das war der zweite Teil dieser Dienstagspredigt.

Zurück zum Kugelfest. Mutter kam am Königstag stets mit einem noch warmen Kugelkuchen samt Pappkrone drauf vom Bäcker Schneiderhan zum Frühstückstisch. SCHON DAS HÄTTE UNS STUTZIG MACHEN SOLLEN. Ansonsten war nämlich «Trudchen», die gute Seele im Hause, für die niederen Dienste wie «Einkaufen» oder «Bohnenfädeln» zuständig.

Mutter verbreitete bei Kakao und Honig gute Laune – und strich Letzteren um den Mund ihres naiven Angetrauten: «Dann wollen wir mal schauen, wer hier der King im Haus ist, Hans. Doch wies auch kommt – für mich bist du immer die Nummer eins!» Der Trottel schnurrte zufrieden. Und stellte den Schwanz wie Zwirbel, unser maroder Dackel.

Nun durfte also jeder am Tisch eine der Glückskugeln abbrechen. Und immer wurde es dasselbe Theater – wir griffen gierig zur Macht. Doch war es dann stets Mutter, die etwas erstaunt die Augenbrauen hochzog: «Das gibts doch nicht … schon wieder ich!»

Schon holte sie diesen verdammten Plastik­könig zwischen ihren Zähnen hervor.

Ich war bereits 14 Jahre alt und wie alle ­Männer ahnungslos, als die Kembserweg-Omi dem Machtgefüge andere Vorzeichen gab. Mir war allerdings nicht entgangen, dass sie bei der letzten Königinnen-Wahl ihre Schwiegertochter argwöhnisch betrachtet hatte: «Genug jetzt, Queen Charlotte! Möge Ihre Hoheit doch zumindest einmal den Kleinen gewinnen lassen!»

DAS AUS IHREM MUND! Der Kembserweg-Omi ging es nämlich mitnichten um «den Kleinen» (er hatte ja bereits Flaum unter der Nase und Twisthosen am Hintern). Der Omi gings darum, dass sie eine miese Verliererin war. Sie zockte mit gezinkten Karten. Und hielt sich manipulierte Bleiwürfel in ihrem Handtäschchen, die immer auf die 6 fielen. Bei «Mensch ärgere dich nicht» schickte sie uns in die Küche, um Streichhölzer für ihre Zigarre zu holen. Und schon standen ihre Figürchen alle etwas anders rum …

Die Omi also erschien also an jenem Dreikönigs-Morgen ebenfalls mit einem Königs­kuchen zum Frühstück: «Ich wollte euch über­raschen», flötete sie zu Mutter.

Diese schoss ihr einen Blick zu, der grausam und rezeptflichtig war: «Deinen Kuchen kannst du den Enten verfüttern!»

Fünf Minuten später, als wir die Kugeln schnappten, riefen beide Frauen: «Ach nein… ich glaubs ja nicht … so eine Überraschung!» Diesmal knübelte auch die Kembserweg-Omi das ­Hartstofffigürchen aus den Drittzähnen.

«Dass du dich nicht schämst…», warfen die beiden Königinnen einander synchron Unschönes an die Dauerwellen. Und dann kam es heraus, dass unsere Kuchen immer ohne Könige in der Kugel serviert wurden. Und Bäckermeister Schneiderhan das «We Are The Champions»-Figürchen der lieben Mutter separat aushändigte, sodass diese ihre Macht dann vor der Familie ­ausspucken konnte.

ES BRAUCHTE DIE WEIBLICHE LOGIK, UM DIESEN TRICK ZU ERKENNEN. Und es brauchte Bäckermeister Schneiderhan, der auch der Omi einen getürkten Kuchen backte.

Was ich damit sagen möchte: WELCHE KUGEL AUCH IMMER GEWINNT – MISSTRAUT DER MACHT! (Das wäre dann das Schlusswort zum 6. Januar.)

Dienstag, 6. Januar 2015