Von einer VIP-Gala und dem geplatzten Frack…

Illustration Rebekka Heeb

«Und bitte sehr – WAS SOLL ICH ANZIEHEN?» – Innocent stand jammernd vor vier Kleiderschränken. Sie waren so prall gefüllt wie ein türkisches Handgepäck. VOLL. VOLL. VOLL. «Ich denke mal, eine Hose und ein Hemd …», sagte ich lakonisch. Der Witz verpuffte. Denn erstens waren die Ohrverstärker auf «aus». Und unser Ice-Crasher auf «on». Da hätte ich den Witz auch auf dem Mond rauslassen ­können – NULL WIRKUNG!

«SIE VERLANGEN EINEN SMOKING …», weinte der Gute. Und schnäuzte sich in ein ­vergilbtes Hemd aus seiner Konfirmationszeit. «Na also», sagte ich gereizt, «das sind doch klare Richtlinien. Gib mal her!» Ich schnappte mir die Einladung. Es war eine VIP-Card. Und VIP-Cards bringen Innocent stets ins VIP-rieren.

Die Einladung versprach ein grosses Gala-­Buffet mit einer prickelnden Witwe Clicquot aus den Champagnerbergen und einem eiskalten Bier aus dem Land, wo die Smörrebröds herkommen.

ES STAND NICHTS VON SÜSSMOST. ODER KALTEM EISENKRAUTTEE. DENN NICHT-­SÄUFER HABEN IN DIESER WELT VON NICHT-RAUCHERN AUFGEHÖRT ZU EXISTIEREN.

«Wirf gefällig dieses Gilb-Hemd mit den Rostflecken in die Rotkreuz-Wäsche …», knurrte ich. «Man könnte meinen, es zeige heilige Wundmale. Kein Wunder, sind deine Kästen übervoll, wenn du nie etwas weggeben kannst …»

Tatsache ist, dass wir noch immer denselben Kleidersammelsack haben wie an jenem Tag, als ich Innocent 1969 kennenlernte. Damals hatte er mich zum ersten Mal festlich zu einer warmen Ovomaltine ausgeführt. Ich hatte kaum 22-mal 12 Monate auf dem Tacho. Rüschte mich für unser erstes «Date» auf wie die Queen, wenn sie den Ritter-Aspiranten mit dem Schwert eins rüberknallen muss.

Ich hatte mir gar mit dem letzten Schreiber­honorar eine Schachtel Sobranie GOLD geleistet. Das waren rabenschwarze russische Zigaretten mit goldfunkelnder Mundspitze – SÜNDHAFT TEUER. UND SCHRECKLICH IM GESCHMACK. ABER IRRE CHIC.

Als Innocent mich dann in diesem hautengen Flanellanzug mit den violetten Epauletten ­an­­­stierte wie die Kuh einen Salzberg, da hätte es ihm doch weiss Gott die richtige Richtung weisen sollen. Da schrie jeder Faden, jeder Knopf nach: «ABER HALLO – HEUTE WOLLEN WIR MAL GANZ FEIN DIE SAU RAUSLASSEN!»

Es war ein Schlag ins Wasser. Ich sah es auf den ersten Blick – und atmete tief, tief durch: Mein heisser Freund erschien in einem Anzug, dessen Stoff noch fadenscheiniger war als alle Ausreden von Herrn Putin, er habe mit all dem Theater in der Ukraine nichts zu tun.

Dazu eine Krawatte, auf der das Emblem des dama­ligen Bankvereins auf Kunstseide gedruckt war – und unter den ausgefransten ­Kittelärmeln glänzten Manschettenknöpfe, mit denen er spielend in einem Symphonieorchester den Tschinellen-Part hätte übernehmen können.

«Ich habe den Wagen vor Papis Haus» – strahlte er. Und rieb sich die Nase, als er den bildschönen Jungmann im ­Flanell-Look sah. Ich hatte die Hoffnungen bereits runtergeschraubt, dachte aber, der Wagen vom Papa sei mindestens ein kleiner Bentley oder zumindest ein Porsche-­Cabriolet. ES WAR EIN VW KÄFER.

TATSACHE WAR NÄMLICH, DASS SEIN VATER GAR KEIN AUTO BESASS. NUR EINE AHV-TRAMKARTE.

Und die rumpelige Käfer-Kutsche hatte sich Innocent für 100 Briefmarken à 25 Centimes von der Metallhalde der Schweizerischen Post erstanden.

DAMALS WAR DIE POST NOCH SEHR INNOVATIV, BEVOR SIE DAMIT BEGANN, KINDERÜBERRASCHUNGS-EIER UND MICKEY-MOUSE-WECKER AM SCHALTER ZU VERKAUFEN.

Wir tuckerten also mit der Karre, die bis zu ihrem Ableben 25 Jahre später stets nach verbrannter Packschnur und ranzigem Leim stinken sollte, nach Oberwil in den «Ochsen». «Hier gibts die beste Ovo!», wollte mich Innocent auf den Abend heiss machen. «Und dazu leisten wir uns ein Restbrot …»

JAWOLLLL! – Ihr habt schon recht verstanden: ein Restbrot für zwei.

«Die sind ja übertrieben gross hier …», winkte Innocent entsetzt ab, als ich für mich einen Damenteller mit Büchsenspargeln und Schinken in Auftrag geben wollte, «das Restbrot würden wir auch zu dritt nicht schaffen …» SO ETWAS ZU EINEM TRÄMLERKIND, DAS NOCH VOR DEM FRÜHSTÜCK VIER ZUCKERSCHNITTEN IM SCHNUPF VERDRÜCKT HATTE.

Ich will nicht undankbar sein. Es wurde ein netter Abend. Denn eines muss man dem alten VW Käfer posthum lassen: Man konnte die ­Rücklehnen total flach kippen, sodass für die Paketsäcke genug Platz war. UND NICHT NUR FÜR DIE PAKETE – WENN IHR SCHNALLT, WAS ICH MEINE …

Und dieser Herr Innocent, der mit den Jahren OVO gegen GRAPPA, aber kein einziges Hemd eingetauscht hat, wedelt nun unwillig mit seiner VIP-EINLADUNG: «Sie wollen der Gala etwas Festliches geben. Und wir sind der Peterli auf der Platte – die Garnitur quasi. Verlangt sind ein Smoking, eine Uniform oder ein Schottenrock – haben wir Schottenröcke im Repertoire?»

HATTEN WIR NICHT. Nur die lustigen Korsagen der Kembserweg-Omi, in denen wir an jedem Familienfest immer riesige Brüller entfachten.

«Da ist doch so etwas …», zupfte ich ein speckiges Stück Altstoff aus dem dritten Kasten. Es sah aus wie ein Mantel. Hinten aber war alles wie bei einem V geschlitzt. Und die Hosen dazu zeigten graue Streifen.

«Der Stresemann!», weinte Innocent nun. «Den Frack hat Papi noch am 95. Geburtstag getragen …» Das mag ja sein. Aber als Innocent einstieg, knallten die Knöpfe wie die Bleibohnen im Bürgerkrieg.

UND SO WURDE ES DANN EBEN DOCH EIN ABEND IM GILBIGEN HEMD MIT DEN ROST­FLECKEN DRAUF. Dazu die Trämler-Uniform.

DIE UNIFORM KAM VOM SCHELLEN­TRAMPER DES SECHSERS – ALSO VON MEINER SEITE.

Gut, wenn man vornehme Wurzeln hat!

Dienstag, 5. August 2014