Von Wilhelmines Opernball-Pralinen und der geplatzten Hochzeit

Eigentlich fahre ich nur wegen Wilhelmine nach München. Sie werkelt im Tal. Gleich vis-à-vis vom Sedlmayr. Das war der Volksschauspieler, der gute Walter mit dem Schnauzer. Und dann ab durch Mord? wie im Film! Diesmal live. Und ohne Happy End... genau wie bei Moosi selig auch. Doch wir haben die Optik falsch eingestellt. ES GEHT HIER SCHLIESSLICH UM WILHELMINE.
Wilhelmine hat in ihrem Leben schon vieles gemacht? so eine Allrounderin eben. Und immer wieder fällt ihr etwas Neues ein.
Ihr Angetrauter, der Raab Wilhelm, hat es bei diesem schaffigen Weib nicht leicht, Schritt zu halten. Aber Willi ist ein Gutmensch. Und er hat dieses Lächeln drauf, das man mitunter bei seinem Hund sehen kann, wenn dieser die Wurst im Schaufenster entdeckt. Dazu noch ein schwäbisches Dialektle... und den treuherzigen Blick: «Y darf all die guete Sächele verkaufe, die mai Frau so schön gwerklet hett...»
UND DAS SCHÖNE SIND: PRALINEN. SO WUNDERBAR DEKORIERT WIE EIN OPERNBALL UND MIT EINEM INNENLEBEN, DAS AUS TAUSEND AROMEN KOMPONIERT WORDEN IST.
Um ehrlich zu sein: Die Wurst von München ist mir wurscht. Ich zuzzle nicht an diesen Schwabbeldingern, die man immer vor 12 Uhr morgens essen und mit einem süssen Senf lutschen und nicht beissen soll. Für mich sehen Weisswürste aus wie diese angeschwommenen Flussleichen im Sonntags-«Tatort». Und mit Leberkääs habe ich eh nichts am Hut, seit ich gemerkt habe, dass es ganz einfach nur unser kommuner Bauernfleischkäse mit Trachtenbedienung ist.
ALSO WEGEN SO ETWAS BRAUCHT KEINER NACH MÜNCHEN ZU FAHREN!
Und auch nicht wegen der musizierenden Lederhosen im «Hofbräuhaus», wo das Schankmadel gleich eine Krise baut, weil ich eine warme Ovo bestelle. Sie weiss nicht, wovon ich rede. Sie trägt zwar die Weissbier-Tracht, kommt aber aus Kung Fu oder sonst irgendwoher aus China. Eigentlich ist Lu, vom Service 12, für die chinesischen Touristen zuständig. Aber nun steht sie vor mir und muss bei der guten alten Schweizer Ovomaltine passen. Sie holt einen dieser bayrischen Ledermänner zu Hilfe. Doch der grinst nur: «Ach, Lu, der nimmt dich doch nur auf die Scheibe? bring ihm eine warme Bretzn und die Sache ist geritzt, nicht wahr, Alterchen?!»
IHR SEHT NUN, WESHALB ICH NICHT WEGEN DES BIERS NACH MÜNCHEN MUSS. Immerhin? die Menschen in diesen Biergärten sind ja so etwas von gemütlich! Also da können wir nur lernen von. Neuzugezogene sind schnell mit ihnen im Gespräch, und jeder will wissen, woher man komme und ob in dieser Gegend immer Rüschenhemden zu Jeans getragen würden.
BASEL? sagen wir. Und dann kriegen die sich gar nicht mehr ein: «BASEL?! Des is doch des Koff, wo unsre Fuassballer-Buaben zer Tschämpiensliig in des bedepperte Stadion müssen. Mai Gott is dös eine Witzpartie...» Sie offerieren uns mit kernigem Schulterklopfen eine Portion dieser flutscherigen lauwarmen Würste? und dies, obwohl es schon längst zwölf geschlagen hat! «Ihr werdets dann schon sehen...», geben wir mit pikanten Lächeln unsern Senf dazu. Und versprechen dem lieben Gott, drei Tage auf Cailler mit Nuss zu verzichten, wenn er das Wunder von Basel bei diesem ballernden Bayern-Treffen geschehen lässt...
Natürlich hat München sehr viel Internationales und Grossflächiges zu bieten. Das hat die Grossstadt ja auch immer wieder vom dörflichen Zürich unterschieden. Da ist beispielshalber der englische Park mit dem chinesischen Turm und einem japanischen Teehaus. Gott und die Welt spaziert da zwischen spanischen Schwänen und polnischen Enten herum? und an einem Sonntag ist die Gegend rund um den kleinen See voll mit diesen schwarzverhüllten Frauen, um all dem Englischen auch noch einen orientalischen Touch zu geben. DAS IST DIE GLOBALE WELT! Mich aber ziehts eben ins «Tal» zur Wilhelmine, die mir Gänseblümchen verzuckert und Petersilie kandiert. Sie spinnt auf ihre süsse Art und ist deshalb meinem Herzen seelennah.
Wilhelmine liebt ihren kreativen Beruf und arbeitet sich die Fingerspitzen nächtelang zuckrig. Am schlimmsten war die Sache mit der arabischen Hochzeit. DAS WAR GANZ GROSSES THEATER. Erwartet wurden über 1000 Gäste. JETZT SCHNALLT IHR JA, WIE VIELE VON WILHELMINES PRALINEN DA GEKUGELT WERDEN MUSSTEN. Sie hat Tonnen von Rosenblättern vergoldet, Fässer mit Honig verarbeitet, ganze Dattelernten mit glitzernden Nüssen gefüllt? UND DANN IST DIE BRAUT NICHT GEKOMMEN, WEIL SIE SICH UNGEHÖRIG BENOMMEN UND IHREM AUSERWÄHLTEN EINEN DEUTSCHEN KÜHLSCHRANK-MECHANIKER VORGEZOGEN HAT. Da war aber der Zapfen ab! Und Wilhelmine hockte da mit all den Paletten von Hochzeitspralinenkugeln in diesem Geschäftchen, das kaum mal die Grösse von fünf Hutschachteln hat.
Ich kam. Half beim Wegverputzen der köstlichen Kugeln. Und bin der arabischen Braut noch heute für ihren sturen Kopf dankbar. Sie erhielt übrigens auch die Kugel. Aber nur eine.
Als ich da eben ein lindengrünes (mit Veilchen und Pistazien verziertes) Wonnebällchen reinballern liess, blinzelte Wilhelmine mit halb zugekniffenen Augen zu mir: «Mooooment? bleib so! Der rosige Kopf mit dem Rüschenhemd gibt mir eine Idee... dazu eine Prise Mohn, Kakao aus Nicaragua. Und geraffelte Schokoflocken...»
MEINE LIEBEN? ICH BIN EINE MÜNCHNER PRALINE.

Samstag, 18. September 2010