Von Tauben, Grillo und Berlusconi

Innocent wollte Colombe. Tauben. Es sind diese Oster-Backdinger, welche Zuckermeister Giolitti in Rom am schönsten dekoriert. Die Panetone-Tauben erhalten von ihm ein Kalorienkleid, das noch süsser ist als ein Sonntagsfilm von Luise Rinser.
Der Glasurmantel ist pink und mit allerlei Zuckerstreusel verglimmert? dann drückt ihm der Konditor als Gipfel des Glücks einen Hauch von rosa Tüll in den Schwanz. Und der Vogel sieht aus, als hätte er demnächst seinen Auftritt in einer Transvestitenshow...
ABER NATÜRLICH FÄLLT INNOCENT, DER MIR KLARE LINIEN UND ARTE POVERA PREDIGT AUF DIESE AUFGERÜSCHTE ZUCKERHENNE REIN.
Deshalb: «12 Stück! Wir verschenken sie an Freunde. Ist immer noch billiger als 100 Gramm Pralineneilein von Sprüngli.»
Die Verkäuferin von Giolitti baut mir dann eine Krise. Natürlich hat sie nicht so viele Tuntentauben an Lager. Die müssen zuerst zurechtgeturtelt ­werden. Also offeriert sie mir einen frisch gepressten Pampelmusensaft (das staunt ihr aber: PAMPELMUSE !? bei diesem fruchtigen Grapefruitwort hat mich die Pampel-Muse geküsst. Na ja? kleiner Ulk).
Ich warte also draussen in dem kleinen Gässchen, das sich den grossartigen Namen Via Uffici del Vicario leistet. Die dunkle Strasse ist nichts anderes ist als ein enger Pflastersteinschlauch auf dem Giolitti geschäftstüchtig eine Zeile von spielkartengrossen Blechtischchen aufgestellt hat. Im Sommer stehen die Leute hier Schlange, weil die Pasticceria für ihre Gelati berühmt ist. Aber jetzt herrscht tote Hose. Und selbst die ­aufgerüschten Ostertauben locken kaum einen Käufer an, weil in der italienischen Haushaltskasse ebbe ist. Und nur noch Politiker und deren Günstlinge sich den Zucker des Landes leisten können.
APROPOS: ein Rudel von Journalisten, gut 100 Stück, warten mit gezückten Mikrofonen neben meinem Pampelmusensaft auf ein Wunder und eine neue italienische Regierung. Eigentlich liegt das Parlament ja noch ganze drei Kugelstösse von Giolitti weg. ABER ITALIENS POLITIKER SIND SEIT 2000 JAHREN IMMER DURCH HINTERWEGE ZUM ZIEL GEKOMMEN. Das wissen auch die Schreiber hier. Und warten so beim Hintereingang des Parlaments auf irgendeine Rübe, der sie das Mikrofon hinhalten können.
Ein kleines Weiblein, kaum grösser als ein Regenschirm durchbricht die Journalistenmeute, wirft mir beinahe den Grapefruitsaft um. Und brüllt mit der krächzenden Schärfe eines schlecht ge­ölten Güterwagens: «LAAAAADRI! ALLES GAUNER! DIESEN GOTTVERDAMMTEN POLITIKERN SOLLTE MAN DIE EIER ABSCHNEIDEN! SIE ­TAUGEN WENIGER ALS MEIN ALTER? UND GOTT ALLEINE WEISS, DASS DAS ETWAS HEISSEN WILL!»
Ein Polizist, der hier in der Paradeuniform irgend etwas bewachen soll, grinst nur. Und meine Taubenverkäuferin kommt vom Lärm aufgeschreckt von den Tüllhennen weg und herbeigerannt. Sie analysiert die Szene blitzschnell: «RECHT HAT SIE, DIE ALTE LOREDANA. SIE SAGT, WAS ALLE NUR DENKEN UND KEINER AUSZUSPRECHEN WAGT!»
Nun kommt vom Pantheon her ein etwas dicklicher, graugewellter Herr in elegantem Kaschmirmantel herbei­geschlendert. Die Journalisten stürzen sich auf ihn, wie die Fliege auf den frisch geschissenen Mist. Und auch die Alte zuckelt auf ihn los. «Du bist der Schlimmste! Machst viel Stunk und doch nichts. In Deutschland nennen sie uns schon das Land der Gaukler. JA HALLO? WER HAT DENN HIER ETWAS ZU LACHEN?!»
Die Filmkameras surren. Junge Männer und Frauen schreien. «Hierr Grillo... bitte hier. Ein kleines Wort zur Lage...»
JA HAT DIE ALTE DENN NICHT GANZ KLAR GESAGT, WAS SACHE IST? Das interessiert aber kein Schwein. Und «buona, buona Signora», versucht der Clown die kreischende Frau zu beschwichtigen. Doch die reagiert wie damals meine tobende Mutter, als sie ein Kontrolleur beim Schwarzfahren erwischt hatte und mit «gutes Fraueli» beschwichtigen wollte: STECK DIR DEIN BUONA BUONA IN DEN ARSCH, DU SCHMIERENHALUNKE. BRING KLEINE KINDER ZUM LACHEN, ABER NICHT ALTE WEIBER ZUM HEULEN!»
Der totale GAU waren dann aber die drei schuss­sichern Limousinen und ein Panzerwagen, die durchs Rumpelgässchen kurvten. Vier glatzköpfige Bodybuilder mit Muckis wie Parmaschinken öffneten hurtig die Türe des zweiten Wagens. UND DA WAR ER! SILVIO HIMSELF. Meine Taubenverkäuferin schlug das Kreuz und krächzte: «MEIN GOTT? ER HAT MAX FACTOR AUFGEKAUFT. SO VIEL MAKE-UP HATTE NICHT EINMAL DIE 100-MANN-TRANSENSHOW IN LAS VEGAS...»
Tatsächlich strahlte Berlusconi in einem bräun­lichen Fond de teint, das daumendick aufgespachtelt war und sich wunderbar von den etwas dunkleren Haarimplantaten abhob.
ABER SO ETWAS WILL BUNGA BUNGA MACHEN?
JA HALLO! Wenn der aktiv ist, bin ich ein drei­facher Salto im Bodenturnen. Das Einzige, was da noch beim Sexspiel vibriert, ist Silvios Kreditkarte. UND SONST GAR NICHTS. Selbst die schwule Vera hat ihr Make-up dezenter aufgetragen.
Jetzt hättet ihr aber das Weibchen hören sollen? bei Berlusconi trat es total über die Ufer. Schimpfte ihn den grössten aller Gauner und sie müsse ein ganzes Jahr mit dem Betrag auskommen, den er für fünf Minuten mit einer seiner «Putane» aufwerfe.
Silvio aber hat nur in die surrenden Kameras gelächelt? seine Jahre haben aufs Gehör geschlagen. Und so ist alles um ihn unerhört. Doch: «HIER SILVIO... HIER, HIER!» sülzte die Journalistenmeute. Auch unerhört.
«Ihre Vögel sind fertig, Signore!», strahlte die Giolitti-Verkäuferin nun.
«Und Ihre Vögel sind alle durch den Hintereingang ins Parlament abgezwitschert!», gab ich zurück.
Sie seufzte: «Klar doch. Italiens Politiker haben noch immer alles hintenherum gemacht, Signore...»

Dienstag, 9. April 2013