Von Schlutzkrapfen in Meran und knackigen Bauern

Adri und Markus haben uns Meran empfohlen. Erstens wegen der Bauern. Selten seien die Äpfelchen knackiger als dort. Und dann wegen der Schweine. Kaum ein anderes Vieh gebe mehr her, als die Schweine in diesem Stück Italien, wo jede Sau noch deutsch parliere. Wir also nichts wie hin. Vor allem hat das eine Argument gestochen: «DIE PREISE... alles fast geschenkt!» Adri schnalzte mit der Zunge und machte die Pinkepinke-Daumenzeigefinger-Bewegung. Genug, um Innocent das Dollarzeichen in beiden Augen aufsteigen zu lassen: «DA FAHREN WIR HIN! ICH HABE GENUG VON DIESEN 5-EURO-ESPRESSI VOR DEINEM PANTHEON!» Und so fuhren wir also.
Statt des Pantheons kamen Apfelbäume. Und statt des Tibers ein rauschendes Bächlein, das sie Passer nennen. Man sitzt davor. Trinkt vom frischgepressten Traubensaft. Und bezahlt zehn Euro den Schluck.
Es ist seltsam: Auf Schritt und Tritt wird das südtirolige Italien hier von der österreichischen Vergangenheit eingeholt. Oder umgekehrt. Ich bestelle «Ravioli». Und der Kellner grunzt: «Das heisst hier Schlutzkrapferln.»
Ich meine, wenn die wenigstens «Krapfi di Schlutzo» heissen würden. Aber nein. SCHLUTZKRAPFEN? UND DIES IM LANDE DER O-SOLE-MIO-DIKTION UND BERLUSCONIS BRIGADA NERA.
Statt Gnocchi sinds hier Knödel? so rund und prall, als wollte der Kaiser sie als Kanonenfutter verwenden. Aber wenn ich in Italien bin, will ich italienisch reden. Und bleibe penetrant bei diesen Sätzen, die ich im Migros-Kurs für Fortgeschrittene eingetrichtert bekommen habe: «Vorrei Gnocchi! GNOCCHI. Con burro e salvia!»
Der Kellner bleibt ebenso penetrant auf seiner deutschen Sprachschiene kleben. Und die ist etwa so verständlich, wie wenn die Zürcher Meteofeen das Wetter von morgen auf uns niederprasseln lassen. Natürlich nudelt auch der Koch nach der Zeit des alten Kaisers. Gnocchi sind hier Knödel. Um nicht zu sagen Klopse. Und statt Salvia kommt Adris versprochene saulustige Sau daher. Sie ist das einzig Ausgelassene am Ganzen. Ihre zarte Specklende wurde würfelzuckergross geschnitten. Der Küchenjunge hat sie in heissem Schmalz frittiert. UND DIES ALLES UNBARMHERZIG ÜBER DIE KLOPSE GEWORFEN! Das ruft nach Schnaps schon vor dem ersten Bissen.
Immerhin? über das Hotel gibt es nichts zu meckern. Verblasste Jugendstil-Eleganz. Natürlich rümpft Innocent die Nase. JA WAS WILL ER EIGENTLICH BEI 20 EURO ÜBERNACHTUNGSGELD INKLUSIVE MILCH AB KUH ZUM FRÜHSTÜCK!
«Das Ritz ist es nicht», müffelt er. Und denkt an Abano, wo sie ihn wegen seiner ewigen Extrawünsche «la Rompi» nennen. Er nimmts als Kompliment und versteht es nicht besser. Er hat seinerzeit den Italienischkurs gleich nach dem Satz: «Un bicchiere del vino» mit «das tuts für mich» an den Nagel gehängt. Nun träumt Innocent also von seinen livrierten Abano-Kellnern, die mit weissen Handschuhen den Fisch filetieren. Ich werde nun doch etwas ungehalten? immerhin habe ich den «Meranerhof» ausgesucht: «Deine Kellner in Abano tragen ihre Jacken so speckig, dass sie diese in Reih und Glied im Speisesaal aufstellen und sich mit einem Fusstritt von ihnen verabschieden könnten. HIER IST IMMERHIN ALLES TIPTOP DEUTSCHGRÜNDLICH REIN!» Innocent schweigt beleidigt. Und ruft nach Eis für seinen handwarmen Campari. «Ghiaccio», sage ich. «Hier kommt das Eis», sagt der Kellner freundlich.
Wir sitzen in Oberitalien. Und es ist, als hätten wir in Bad Bellingen gebucht.
Innocent stülpt sich das Wanderhütchen auf. Es hat die Farbe von verregnetem Moos und ein haariges Pinselchen eingenäht. Der Pinsel wippt lustig, wenn Innocent die beiden Gehstöcke schwingt. Und: «da rauffi gehts...», zeigt er fröhlich auf einen Berg, der viele Schweisstropfen und brennende Füsse ahnen lässt. ICH HASSE DAS GEHEN AM BERG! Gottlob hats einen Sessellift. Zumindest bis zur Mittelstation. Dann ist ausgesesselt. Und so wandern wir vorbei an diesen herrlichen Apfelbäumen, deren Früchte wie tausend feurige Teufelsköpfchen glühen. Klar, dass sie den verfressenen Wandersmann zum Anbeissen verlocken.
Ich beisse. Immerhin hat Adri gesagt, dass Markus dank dieser Äpfel in Meran 23 Pfund abgespeckt habe.
Die Frucht schmeckt himmlisch. EIN BISS INS PARADIES. Die zweite fruchtete noch besser. Innocent ist bereits an der dritten. Doch bei der vierten taucht einer dieser von Adri heiss propagierten Jungbauern auf, nach denen man sich in den Sendereihen von «Bauer sucht» vergeblich den Kopf verrenkt. HIER ABER IST DER KUHMELKMANN EIN BILD VON EINEM KERL. HÖCHSTENS NOCH MIT UNSERN SACKHOSENGEWANDETEN SCHWINGERKÖNIGEN ZU TOPPEN. Leider ist das Innere des Apfelbauern arg wurmstichig. Jedenfalls brüllt er uns als «Scheisstouristen» zusammen, die «keinen Respekt vor fremdem Eigentum hätten».
«Aber lieber Herr...», schleimt Innocent über sein angebissenes Äpfelchen. «Wir vergüten den Genuss gerne mit 50 Cents und...»
Es gab eine unschöne Diskussion, die darin gipfelte, dass wir den Bauernknacki mit einem Check befriedigen mussten. «Stronzi», knurrte er. Das war deutlich. ABER IMMERHIN ITALIENISCH. Knurrend brauste der Landwirt auf seiner zündroten Harley Davidson davon.
«Was hat er gesagt...», hielt sich Innocent die Hand ans unverstärkte Ohr.
«Wir sollen auf der Stelle ein Taxi rufen. Das spazieren ist hier STRENG verboten!», übersetzte ich etwas frei.
Und so wurde es doch noch ein schöner Tag!

Samstag, 25. September 2010