Von Regengüssen in Rom und «O sole mio»

Natürlich kübelts. Ok. Es schüttet stets, wenn ich nach Rom komme. Die Migranten aus Afrika schlagen bei meiner Ankunft die Trommeln an.
Sie nennen mich «the rain-man». Die Bauern bringen mir in der Dörrezeit Opfergaben. Und die Meteostationen wollen meine Agenda sehen: «WANN KOMMT DAS BASLER TIEF ÜBER DIE EWIGE STADT?»
Eines muss mal ganz klar festgehalten werden: Hier haben sich nicht nur das Politklima, das Bruttosozialprodukt und die Pizza verändert! AUCH DER SONNENSCHEIN! Sagen wirs mal so: Wenn es in Basel schüttet, giessts auch in Rom. Und: Wenn es in Basel sonnt, kanns in Rom sehr wohl pissen. Die Niederschlagsmenge konzentriert sich allerdings auf die Zeit, wo ich in meiner Kleinstwohnung ins Dunkle des Innenhofs stiere. Das einzig Erhellende sind dann die Blitze, die zucken.
Und meine Freundin Catherine, die über ihrem Kreuzworträtsel hockt. Und dem Sauwetter mit der Suche nach einem pyromanischen Kaiser mit vier Buchstaben trotzt.
Ich habe nichts gegen Regen in Rom. Aber meine Freunde, die nur für einen kurzen Moment dieses Land der «O sole mio»-Philosophie besuchen, schreien nach SONNE. Die Reiseprospekte gaukeln ihnen einen blauen Himmel und heisse Eisverkäufer vor. Diese haben laut Soap-Operas und Omas Erinnerungen stets flotte Sprüche wie «bella signorina... amore .. amore...» drauf.
Fact sind heute tamilische Männchen mit einem farbenprächtigen Regenschirmangebot. Wie durch Zauberhand wachsen sie beim ersten Tropfen aus den römischen Pflastern. Sie wuseln herum und schreien mit Fistelstimmchen: «Ümbrelli... ümbrelli». ICH VERMUTE MAL STARK, DASS IHRE BEZIEHUNG ZUM REGENGOTT STÄRKER IST ALS DIEJENIGE DES PAPSTES ZU SEINEM OBERSTEN CHEF. Wenn es dunkelt und der Regen sich ausgetropft hat, lassen die Schirmverkäufer kleine, runde Tellerchen wie leuchtende Sputniks zum Nachthimmel steigen.
«OHHHH», haucht Tante Hilde aus Deutschland West begeistert über das strahlenkreuzige Licht. Sie kauft gleich vier solcher surrender Leuchtsputniks für ihre Enkelkinder. Am andern Tag schüttets wieder. Die Sputniks sind im Nirwana verschwunden. Sie funkeln jetzt wohl in Wuppertal an der Wupper.
Und: «Ümbrelli... ümbrelli», rufts durch das Nass am Tiber.
Wir drehen einen kleinen Fernsehfilm mit Baslern, die in Rom leben. Alle sagen dasselbe: Es ist nicht mehr dasselbe!
Djego, unser Fahrer, karrt das Team mit Kameras und Stargast auf die alte Via Appia. Das kam so: Der Gast darf sich aussuchen, bei welchem Römer-Highlight er sich dem Zuschauer präsentieren will. Der Apotheker, der vor neun Jahren hierherkam, um römische Kutteln zu essen (und nach einigen Verdauungsproblemen nie mehr nach Hause zurückkehrte), erklärt versonnen:
«Wir drehen meine Aufnahmen auf den Pflastersteinen der alten Römerstrasse. Es hat dort Pinien, Zypressen? UND DANN DIESER WUNDERBARE BLAUE HIMMEL ÜBER DEN JAHRTAUSENDALTEN STEINEN.»
Der Himmel war schwarz wie ein Pfaffenkleid.
Und ich fühlte mich so alt wie die Steine. Bald schon klatschten Regentropfen, gross und schwer wie Pfannkuchen, aufs legendäre Pflaster.
Zwischen den Steinen bildeten sich Lachen und Schlamm? AUGEN ZU UND DURCH!
Der Apotheker tanzte in frisch geweisselten Nike-Schuhen mit Ballettsohlen an. Und ich in diesen kalbsledernen Schlüpfern, die nur in den Schaufenstern der Via dei Condotti so chic aussehen.
Und die nach dem ersten Regenguss wie geplatzte Kuheuter um die Zehen flattern.
Immerhin? der Pharmazist-Protagonist meistert den Schlammbach, der nun um seine neuen Speedy-Schuhe gurgelt mit einer Improvisations-Bravour, die einer nur nach neun Römer-Erfahrungsjahren so perfektionieren kann. Er lächelt glutäugig in die Linse? doch längst schon haben Kameras und Mikrofone den Geist aufgegeben. Und er schwatzt ins Leere... er erzählt übrigens von dem sonnigen Klima der Stadt und dieser wundervollen Grünzone, welche gerade in den heissen Sommertagen den schwitzenden Romano auffrischen.
Der nächste Gast ist eine Basler Dame, die wir beim Einkaufen an den Marktständen in ihrem vornehmen Parioli-Quartier filmen wollen. UNMÖGLICH. Die Marktleute machen beim ersten Donnergrollen den Schirm zu wie der Herzpatient beim Föhnsturm. Sie verziehen sich in die Bars.
Und wir treffen geschlossene Stände. Es kübelt bereits aus vollen Schläuchen und wir wollen uns ebenfalls in eine der Bars retten. UNMÖGLICH. Da blockieren jetzt alle Marktverkäufer die Tresen und lassen uns sprichwörtlich im Regen stehen...
Dritter Gast: ein Professor der Archäologie. Er führt uns aufs Forum. Und wir hätten genauso gut durchs Ligurische Meer waten können: Wasser und Steine! Simon, unser erster Kameramann mit der Mähne des leidenden Jesus und auch sonst depressiv, schüttelt immer wieder das Haar:
«UND SO EIN LAND HAT DAS LIED?O SOLE MIO? ERFUNDEN?!» Ja und? In der Schweiz kursierte zu meiner Schulzeit auch der Albumspruch: «MACH ES WIE DIE SONNENUHR, ZÄHL DIE HEITREN STUNDEN NUR...» Und haben wir etwa die Sonnenuhr erfunden? Na also.
Abends schauen wir uns auf dem Monitor die Aufnahmen an. Sie erinnern an diesen Moment, als Fellini für den Film «Roma» die Ringstrasse im Dauerregen bezwang. Er hat seine gute Laune behalten.
Und dennoch einen guten Film gedreht.
Allerdings war Regen zu jener Zeit rar. Er hat deshalb die Gewitterergüsse mit einem Spritzwagen an die Kamera klatschen lassen.
DIE ZEIT HAT FELLINI EINGEHOLT.

Samstag, 29. Mai 2010