Von Magenklammern und einem Spaziergang am Meer

Wenn ich auf der Insel ganz nach italienischer Art den dicken, stets übersüssten Vanillepfluder aus dem Cornetto lecke? wenn ich also den Tag rund und schön (vor allem aber schön rund) angehen lasse?, dann pinkelt mir doch tatsächlich dieser spindeldürre, muskulös aufgeblasene Dackel, der sich Tom und mein Vetter schimpft, ans Bein: «Hast du schon mal an eine Magenklammer gedacht?» WIE BITTE?»
«Das ist nun der vierte Gipfel. DER VIERTE! Ich habe dich gestern beobachtet, als du die Kartoffeln holtest: DU KEUCHST WIE EIN VERKLEMMTER STAUBSAUGERSCHLAUCH. GIBT DIR DIES NICHT ZU DENKEN?!
Natürlich hätte er bei den Kartoffeln nie Hand angelegt... Ich meine: Wozu stemmt er 100-Pfund-Hanteln, wenn er schon bei zehn Kilo Kartoffeln den Schlaffsack raushängt...
Das mit dem «Schlaffsack» versteht sich im übertragenen Sinne. Klar. Bei Tom ist nichts schlaff. Dafür sorgt er drei Stunden täglich in einem Gymnastikraum, der künstlich belüftet und von Neon bestrahlt wird. Die Duschen brauchen so viel Warmwasser, dass man damit halb Europa wohltemperieren könnte. Und die Föhnapparate danach haben ein Extra-Kraftwerk am Netz.
Derselbe Vetter, der hier untertags die Muckis ranpeppt, ist eine Ökotrine der miesesten Art: «Wir müssen nicht nur zu unserer Gesundheit schauen. Auch zu unserer Umwelt!»
Will sagen: ER HAT SEINEN EIGENEN, STINKENDEN GRÜNMÜLLKOMPOSTSTOCK AUF DER TERRASSE ÜBER MEINEM SCHLAFZIMMER. Und er brät den Tofu mit Sonnenkraft unter dem Lupenglas. Meistens isst er eh kalt. Tierisches Zeug. Dinge wie das Weisse vom Ei? denn Eiweiss, so weiss er, ist punkto Fitness das Gelbe vom Ei. Oder er mümmelt. Körner. Karotten. Kaugummi. Nichts mit Zucker. ZUCKER IST IGITT. Und nun kommt er mir also mies mit den Gipfeln. Und mit der Magenspange, die eine Magernspange sein soll.
«Ich habe einen Freund, der hat das mit der Magenspange gemacht. Nach drei Bissen wird er grün. Und japst nach Luft. Er hat wohl ein paar Kilo abgenommen, aber das weggespeckte Fett liess seinen Bauch wie einen gestrandeten Fallschirm über dem Gürtel hängen. Er musste den Fleischfaltenwurf kosmetisch abtransportieren lassen. Dies von einem in Haute Couture ausgebildeten Mediziner, der ihm die Arbeit mit Kreuzstich signierte.
WILLST DU EINEN VETTER MIT KREUZSTICH?!» Letzte Frage war der Schrei des Tages. Innocent kaut derweil seelenruhig die sechste Konfitürenschnitte durch.
Innocent schaut beim Streit der beiden Vettern also zu wie die Menschheit an einem Tennismatch von Federer?Nadal. Sein Kopf geht von links nach rechts. Von rechts nach links. Dann unterbricht er. «Was streitet ihr? Ich verstehe kein Wort.»
(Er hat gestern doch tatsächlich in der Meinung, eine Mücke wolle ihn stechen, derart aufs linke Ohr gehauen, dass der Kleinstverstärker darin nur noch summendes Gebrösel war.)
«TOM WILL, DASS WIR UNSERE MÄGEN SPIRALISIEREN.» Tom macht das Stoppzeichen wie ein Verkehrspolizist an der Kreuzung. «Stimmt nicht. Ich möchte einfach, dass ihr beiden etwas gesünder lebt. Es geht doch im Alter nicht mehr, dass...»
«WESHALB SCHREIT IHR SO LAUT MIT MIR?! ICH BIN NICHT TAUB!»
Seit die Mücke ihn gestochen hat, hört er besser. Und ohne Apparätchen geradezu genial. Es ist ein Wunder und reicht fast zur Heiligsprechung.
Tom versucht es nun ganz langsam. Und mit dem Ton, den man für die Armleuchter dieser Welt im Rucksack mit sich trägt: «Ich meine es doch nur gut. Ihr seid hier in der herrlichsten Natur. Ihr pflanzt Tomaten an. Basilikum. Köstliche Artischocken. Und junge Erbsen. Dabei fresst ihr euch durch unschöne Dinge wie Vanillegipfel und...»
«Ich mag nur diejenigen mit der Marmelade...», meldet sich Innocent. Tom ist stumm. Dann: «Ihr solltet euch eben mehr bewegen. Dann könntet ihr Gipfel essen, so viel ihr wollt...» BEWEGEN? Und wer bügelt die Wäsche?... Wer giesst die Blumen? Ich brauche keine Magenklammer. ICH BRAUCHE STÜTZSTRÜMPFE! Tom wedelt neun Stunden Hausarbeit energisch aus der Diskussion: «Das ist nicht dasselbe. LASST EINFACH MAL ALLES LIEGEN. Geht drei Stunden spazieren. Hier am Meer weht ein gesunder, salziger Wind, getränkt mit Jod und...» UND WER PUTZT DAS JOD VON DEN FENSTERN? Plötzlich ist es still am Frühstückstisch. Man hört nur Möwen. Und ihr Lachen. Die Wellen donnern dumpf an die Toteninsel und künden so einen Wetterumschwung an. Irgendwo bellt ein Hund. «Okay. Machen wir ihm den Gefallen? lassen wir einfach alles liegen. UND GENIESSEN DEN TAG!»? Innocent schaut mich strahlend an. «Ich hole die Walkingstöcke. Dann spazieren wir auf dem Panoramaweg nach Porto Ercole.»
«Der Weg ist voll von Schlangen», maule ich. «Ich habe den Revolver dabei», grinst Innocent. «Zieh die Wanderschuhe an!»
WANDERSCHUHE?? Das Wanderigste, das ich diesbezüglich habe, sind hauchfeine Mokassins in gelbem Wildleder. «Macht nichts. Nötigenfalls bestelle ich einen Elefanten, der dich trägt...» Innocent ist von der «Alles liegen lassen»-Idee so angetan, dass er fünf Minuten später in Khaki-Shorts, wollenen Kniesocken und Militärschuhen dasteht. Es wurde ein wirklich wunderbarer Spaziergang. Durch die Erschütterung der beiden Schwergewichte aufgeschreckt, machten sich die Schlangen aus dem Staub. Die Wildschweine grüssten freundlich. Nur die Mücken waren nicht zu bremsen. Als wir nach vier Stunden heimkamen, funkelten wir purpur geborbelt wie die Sexmeile im Amsterdamer Rotlichtviertel.
Tom sass auf dem Hometrainer. Und spulte den 324. Kilometer an Ort und Stelle herunter. Im Garten war noch immer der Frühstückstisch, «einfach liegen gelassen». Ein Heer von Ameisen trug Cornetti-brösel, Aprikosenmarmelade und Streuzucker ab.
«DU HÄTTEST ZUMINDEST ABRÄUMEN KÖNNEN!» Tom keuchte strampelnd seine Entschuldigung: «Ich musste mich sportlich bewegen... und Hausarbeit ist da das falsche Ding!» Ich wischte derweil sauer 3000 Ameisen vom Tisch. DIE TIERCHEN HABEN JA EINE BENEIDENSWERTE TAILLE!
Magenklammern?

Samstag, 28. Mai 2011