Von Madame Fatimas Wunderland und Kairos Katzen

Donnerstag Nur Allah weiss, wie ich auf Madame Fatima gekommen bin. Ahmed wars sicher nicht, der mir die Adresse zuschob. Ahmed sah nämlich ganz und gar nicht ein, weshalb ich seine Villa am Nil verschmähte und mitten im alten Kairo noch ein Zimmer buchen musste: «Der Smog wird sich auf deine Runzeln legen wie der Teer auf die Autobahn... Er wird deine Nase anfressen, wie diejenige unserer Sphinx... Und da du kein Weltkulturerbe bist, wird dir auch keiner die Renovation bezahlen.»
Das war nett dahergesagt. Aber die arabische Gastfreundschaft ist wie die Bergkette um Grindelwald: SIE ERDRÜCKT DICH. Also heisst mein Befreiungsschlag: Madame Fatimas Pension!
Ich habe Fatima übers Internet gebucht. Und Ahmed hat die Sache folgendermassen kommentiert: «... da wirst du nie reingehen... NIE... Es ist ein Loch... Es stinkt nach Katzenpisse und noch ganz anderem... bei mir hast du Palmen und blühende Kamelien... WAS IST ES, DASS DU SOLCHEN LUXUS GEGEN KATZENSCHEISSE EINTAUSCHST?»
Es ist die Freiheit. Und das Gefühl, «mitten in der Stadt» zu wohnen.
DANN SAH ICH ES!
Das heisst: Zuerst sah ich gar nichts. Nur die Tausenden von Autos, die an der Talaat-Harb-Strasse mit protestierendem Hupen um mich herumkurvten. Dann war da ein kleiner, gedeckter Bazar. Dutzende von Männern hockten am Boden und boten offene Zigaretten, geschälte Pistazien oder auch den Service für geputzte Schuhe an. Frauen, die auf ihren Kopftüchern schwere Lasten vorbeibalancierten, erinnerten an Zirkusnummern. Und unbeschreiblich war das Duftgemisch von gebrutzelten Zwiebelringen, scharf gewürztem Schaffleisch und flüssigem Honig, den ein Bäckergeselle auf heisse Backlawas pinselte.
ÜBER ALLEM EINE KLEINE ROTE NEONLEUCHTSCHRIFT: FATIMA? on speak français.
Ahmed hatte nicht übertrieben: Ein Rudel von Katzen begrüsst jeden, der die gastliche Insel von Fatima betritt. Ägyptische Katzen sehen anders aus als unsere verwöhnten Kittekat-Miezen. Sie sind zarter. Feingliedriger. Und sie haben dieses geheimnisvolle Gesicht mit den hohen Backenknochen, das ein bisschen an Marlene Dietrich und ihre gezogenen Weisheitszähne erinnert.
Ein alter Mann in verfleckter Galabija und einem Turban in der Farbe eines verpissten Schneefelds schlurft auf mich zu. Er nimmt wortlos meinen Koffer. Und bringt mich zu einem Lift, der nun wirklich das ist, was man einen Fahrstuhl nennen kann.
DIESER LIFT MUSS GLEICH NACH DEN PYRAMIDEN GEBAUT WORDEN SEIN!
Ich zögere, wie der Alte das eiserne Scherengittertor scheppernd zurückschiebt. Aber die Pension ist im 5. Stock. UND BEQUEMLICHKEIT MACHT HELDEN!
Schon zuckelt mich die Kabine, deren Einrichtung mit einer durchgesessenen purpurplüschigen Sitzbank und links wie rechts total erblindeten Spiegeln sicherlich bessere Zeiten gesehen hat, in die wunderbaren Höhen der Madame Fatima.
Oben wartet der nächste Mann. Es muss der Bruder des unteren sein. Er sieht genauso verfleckt aus. Und auch er sagt nichts, sondern nimmt das Gepäck und führt mich zu einer Holztüre: «Please sonner!» funkelts vom blankgeputzten Messingschild.
Wie von Geisterhänden gestossen, öffnet sich die Türe mit lautem Gerumpel. Man betritt eine Welt aus Kristall und Plüsch? die ausgetretenen Holzböden sind mit ebenso ausgetretenen Teppichen belegt. Und «bien welcome!», sagt ein Chor. Es sind drei Stimmen. Und es sind drei Fatimas? «three soeurs» stellen sich die Damen mit einem zarten Lächeln und ihrem englisch-französisch konstruierten Sprachgebäude vor, «nous sommes three sisters».
Schon schleppt ein Hausdiener in flatternden Pluderhosen ein Becken mit Wasser und ein blütenweisses Leinentuch an.
MAN WILL, DASS ICH MEINE KLEINEN FETTEN FINGER WASCHE.
Ein zweiter Diener bringt frisch gepressten Mango-Saft. Doch bevor ich mein Zimmer beziehen kann, wollen die drei Damen Genaues wissen: Woher ich genau komme? Womit ich mein Geld mache? Und ob ich verheiratet sei?
ACH GOTT? DIE GRETCHENFRAGE WIRD ZUR FATIMA-QUESTION.
Wie kannst du in diesem Land die Partnerschaftsregistrierung erklären?? Deshalb: «I am veuve...»
Vermutlich haben mich die alten Ladys nicht richtig kapiert. Sie nicken lebhaft und erklären mir, sie hätten auch neun Enkel...
Die Pension der Fatima-Sisters wird in einer Hektik von 25 Millionen Menschen zur traumschönen Oase. Ein riesiges Himmelbett, in dem? wie mir die Frauen stolz erklären? sowohl eine türkische Prinzessin wie auch ein deutscher General ins Reich der ewigen Götter abgezwitschert seien, lässt mich ein paar Minuten vom Stress des Recherchierens erholen.
Unaufgefordert und mit diesem leisen Katzenschritten wie die Miezen im Parterre stellen die Pluderhosen-Bediensteten arabischen (mit Kardamomen gewürzten) Kaffee hin. Dazu ein Berg von diesen siruptriefenden Süssigkeiten, über die ich schreiben sollte.
«Tout ok?», schauen die Damen in der Bibliothek von ihren Büchern auf, wenn ich die Oase verlasse.
«Everything très formidable», antworte ich in der Sprache dieses «on speak français»-Wunderlands.

Donnerstag, 9. April 2009