Von Liesels Palatschinken und Carmen ohne Sexappeal

Innocent zog sich den 27. Gummifrosch rein.
Gummifrösche sind sein Manna.
Von München bis Salzburg hat er sie durchgekaut. Merke: Man schützt Froschbeine? aber nicht die Gummifrösche. Auch hier ist die Welt ungerecht.
«Wenn du wenigstens Gummibären nehmen ­würdest, das hätte mehr Stil», meckere ich.
«BIN ICH DENN EIN ABGEHALFTETER QUIZMASTER?!», jagt mein Beifahrer hitzig auf 100. Dann bellt er: «HIER IST NUR 80 ERLAUBT!»
Das habe ich gern? er auf 100. Ich auf 80!
Ich möchte an dieser Stelle nicht die Klagesinfonie eines geprüften und nur einmal durchgefallenen Fahrers über seinen allzeit nervenden Beifahrer anstimmen. ABER: Jede Signaltafel wird be­­lehrend kommentiert. Jedes Rotlicht mit dramatischer Geste übersetzt? alles ungefähr wie vom netten Fräulein bei der Taubstummen-»Tagesschau». Nur lauthals. Und nie stumm.
«SIE HABEN DEN ZIELORT ERREICHT», sagt die nette Frau, die in diesem Bildschirmkästchen mit den Strassenkarten hockt. Tatsächlich knallt unser Auspuff ein letztes Mal? und wir parkieren vor Liesels Villa Mozartkugeln. Das Haus wurde nach den Kugeln des Mannes benannt. Er ist nämlich Chefvertreter dieser Schokoladen-Marzipan-­Bällchen, die mit Stanniol verkleidet sind und uns das Lächeln des arrivierten Amadeus schenken.
Vor dem Tor werden wir vom Personal erwartet.
«Nun hat die Liesel doch tatsächlich so eine Ost-pflaume für ihren Haushalt engagieren müssen!» Das war politisch unkorrekt? und typisch ­Innocent. Die Haushälterinnen können bei ihm mit dem dampfenden Bügeleisen Ferien auf ­seinen teuren Hemden machen ? Hauptsache, sie reden Dialekt! «Wir werden froh sein, wenn wir dereinst die Chinesen bedienen dürfen!», mache ich auf Visionen. «Das erlebe ich Gott sei Dank nicht mehr», müffelt Innocent. Und dies aus dem Munde jener Familiendynastie, die einen Altersdurchschnitt von 98,4 erreicht hat.
«Wir wollen zu Frau Liesel», sage ich zu diesem aufgebrezelten Wonnebaby. Die Tusse lässt einen grob aufgedonnerten Busen im Trachtenmieder auf- und abwippen. Es ist wie das Schwanken zweier Bojen im Sturm. Dann hören wir ein helles Lachen aus diesem Mund, der von zwei grellroten, satt geblasenen Luftkissen eingerahmt ist: «JA, BUABERLN? KENNTS MI NIMMER? Y BINS DOCH, EURE LIESEL!» Sie dreht sich im Kreis, sodass sich der Trachtenrock wie eine Blume ­öffnet und eine der Bojen sich über den Stoffhag selbstständig macht. Wieder das ­perlende Lachen. «WILLKOMMEN. DIE CARMEN WORTET SCHO AUF SOLCHE ZWA FESCHE MONNSBILDER WIE MAI SCHWAIZER BUABERLN.» «Wer ist Carmen?», flüstere ich verängstigt zu Innocent. «Ich habe doch Karten für die Bizet- Oper bestellt», flüstert er, «und zwar mit der Kozena. Sie ist die Freundin von Rattle...»? «Welches Rättlein?» Innocent verdreht die Augen: «SIR SIMON RATTLE, DU NUSS! Die Queen hat ihn geadelt, weil er es so nett mit dem Stöckchen kann. Und auch sonst ist er ein?hot guy?, wie die Engländer sagen würden.»
«Ja, und was ist das mit der Kozena? Hat er etwas mit ihr?» Solche Sachen möchte ich immer ganz genau wissen. Innocent gibt sich bedeckt: «Also... eigentlich ist sie ja eine Konzertsängerin. Aber nun dirigiert der Rattle auf Wunsch der Bartoli in Salzburg. Und da hat er seine Freundin schon an Ostern als Carmen mitgenommen. Eine schöne Stimme hat sie ja und...»
«Wenns mich frogst? dös tschechische Waiberl is in dieser Rollen so folsch und daneben wiä a Nonnerl im Puff.» Ach, Gottchen ? Liesel mit ihren Vergleichen. «Und nehmt mers net übel. Ober das Maderl hat os Carmen den Sexappeal vu ner ausglutschten Bluetwurscht...»
Nun schlägt die Liesel in ihre Patschhändchen und schüttet all diesen Sex über uns, welcher der armen Frau Kozena fehlen soll: «Jetzt nehms zuerst mol e Palatschinkerl. Der Herbert hot mir heut frische Marillen vom Markt brocht. Und y hob se gleich zu Marmelade aikocht...» Gottlob hat Doktor Mabuse nicht auch noch das Koch­talent der Liesel umdrapiert. Denn kochen kann sie. Und Palatschinkenganz besonders. DAS IST MUSIK! Das lässt mich gerne vergessen, dass sie schon wieder meinem Innocent auf dem Knie rumhopst und tut, als wäre sie eben aus der Schule gekommen. Und Herbert, der Marzipankugelvertreter, schaut sich alles total verklärt an? ein Voyeur der schleimigsten Sorte: «Ja, s Liesel is holt olleweil a verspülts Maderl gwesen.» GEWESEN IST DAS WORT. Geblieben ist ein hopsender Kürbis, der nach der letzten Runzelglattbügelung stark an Halloween erinnert.
Im grossen Festspielhaus sass Herr Pereira bereits in der Loge. In seinem weissen Smokingkittel sah er ein bisschen nach Ikea-Polstergruppe und Weis­sem Riesen aus? aber ich will nicht meckern: Er hatte sich rasiert. Und sein bestes Stück dabei. Dieses taxierte die andern Dabei-Frauen und kaute an einem Chewinggum herum, der bestimmt so ausgelutscht war wie die ganze Inszenierung. Es begann damit, dass eine Handvoll Flamenco­tänzerinnen die Ouvertüre von Georges in Grund und Boden stampfte. Na ja: Alles so, wie sich die Regisseurin die spanische Tanzwelt vorstellte. Olé! Herr Rattle kämpfte sich dabei tapfer wie ein Torero durchs Orchester, und man versteht jetzt, weshalb die Queen ihn zum Ritter geschlagen hat. Als dann die heissblütige Carmen mit der Ausstrahlung einer Leichenhalle ebenfalls die Beine spreizte, wünschte ich mir den Hoppe-Hoppe-­Reiter-Moment mit ­Liesel zurück. SIE ZUMINDEST HAT DIE KASTAGNETTEN KLAPPERN ­LASSEN.
Der Applaus war weniger warm als barmherzig. «Nach diesem lauen Schluck Wasser brauche ich jetzt etwas FEURIGES!», bahnte sich Innocent den Weg zum «Triangel», der In-Bar von Salzburg. Dort spülten auch schon Carmen und ihr Sir das Traurige runter. Rattle hatte eine ­Flasche Weisswein bestellt? sein verwöhnter ­Gaumen aber war unzufrieden. Und er fragte, ob er die Flasche zu- rückgeben dürfe. Die Wirtin lächelte wohlwollend: «Jo klor, Sör Rättel, des isch der Unterschid zer Cormen. Die kosch holt net zruggeben, gell...»

Samstag, 8. September 2012