Von einer Lesung in Zürich und Cüpli...

Donnerstag Heute ist Zürich-Tag.
Wir lesen im Hechtplatz-Theater? wir, das ist eine Auslese an Vorlesern, quasi. Und ich frage mich: Was finden die Zürcher komisch? Was bringt sie auf Trab?
Vor allem: WO KÖNNEN SIE FOLGEN?
Natürlich fahre ich mit dem Zug. Alles andere ist Unsinn. Zürich ist eine Destination, wo das Auto am besten zu Hause bleibt. Ein Basler Schnitzelbänggler würde hier jetzt die Pointe anbringen: «ZÜRICH IST EINE DESTINATION, WO ÜBERHAUPT ALLES AM BESTEN ZU HAUSE BLEIBT...»
Tataaa...tataaa...tataaa!
Aber das ist zu billig. Und ich kapier? nicht, was die Menschen hier in Basel downtown immer zu meckern haben? ZÜRICH IST EINE WUNDERBARE STADT. Sie kostet mit dem 50-Prozent-Rabatt keine 40 Franken. Hin und zurück. Trambillett inklusive.
Viele meiner Freundinnen und Freunde reisen täglich nach Zürich. Und wieder zurück. «Pendeln» nennt man das? auch wenn Tante Augusta unter «pendeln» etwas ganz anderes verstanden hat. Mit einem Strick und einem schweren Plemper dran konnte sie Gallensteine, Liebesglück sowie das Problem der Impotenz ausloten.
Meine pendelnden Freunde also erzählen mir immer wieder Horrorgeschichten von diesen Zügen, die da in einem Zug nach Zürich zügeln: «Da müsstest du mal mitkommen. DAS IST FELLINI PUR: alles rappevoll mit Pendlern. UND JEDER ZUG HAT SEINE UNGESCHRIEBENEN REGELN. Wehe, wenn du irrtümlich auf den Sitz eines andern hockst...
JA HALLO? DA GEHT DANN ABER DER ZUG AB!
Natürlich gibt es keine eigentlichen Reservationen? die sind aber ungeschrieben in allen drin. Jeder hat sein Plätzchen, jeder seinen Laptop. Und jeder diese verzweifelte, abgelöschte Morgenmiene... es ist der Zug der Verdammten...»
Ich hätte gerne mal etwas über diesen Zug der nach Zürich Verdammten geschrieben. Aber ich glaube, dass er mit Zürich nichts zu tun hat. Als ich nämlich vor 30 Jahren vier Monate lang jeden Tag nach Frutigen pendelte, waren die Waggons auch immer rappevoll. Und keiner hat gelächelt. Stumm hat jeder die Gipfeli in sich reingedrückt? und mit ihnen die Katastrophen des Tages. Die gabs damals noch in anständigen Tageszeitungen abonniert. Heute nimmt man die fetten Katastrophen im mageren Gratisblättchen aus diesem Blechkasten mit.
Aber wir eiern ja total von der thematischen Schiene weg? und die Schiene führt nach Zürich. Dies in einem Zug, der? OH WAHNSINN!? praktisch leer ist.
Erster Gedanke: Du bist im falschen Film.
Wo sind da all die versprochenen Pendler mit den im Kopf reservierten Plätzen?
Zweiter Gedanke: Nun hat die SBB endlich, endlich doch noch einen Wagen mehr angehängt! Und dann sagt mir eine sonore Stimme, dass der Zug jetzt abfahre. Und als Erstes in Pratteln halten werde.
Da habe ich es gemerkt: Ich bin nicht im falschen Film. Sondern im falschen Zug. Denn bei diesem geht nichts direkt? sondern der schneidet seine Fahrt nach Zürich in kleine Happen auf, so wie die Omi das Früchtebrot, das es immer im Advent gab.
NA BINGO!
Da fühlst du dich aber sehr einsam, wenn du nach einer halben Stunde erst die Biersause von Rheinfelden siehst...
Immerhin blieb mir dann in Zürichs Hauptbahnhof doch noch so viel Zeit, dass ich vier Junkies («Häsch mer en Stutz?») bei deren Anmache befriedigen konnte. Statt des Stutzes habe ich ihnen je ein Gratis-Ticket für die Lesebühne im Hechttheater in die Hände gedrückt: DORT GIBT ES DEN STOFF, AUS DEM EURE TRÄUME SIND.
Natürlich habe ich die Bahnhofstrasse «besucht». Nur um mich darüber zu freuen, dass sie genau so aussieht wie die Freie Strasse. Meine liebe Mutter (gotthabsieselig) hätte die Nase gerümpft: «ALLES NUR NOCH BILLIGWARE! UND WO BLEIBT DAS INDIVIDUUM?»
Wunderbarerweise war eben Cüpli-Zeit. Wenn wir Schweizer in den verschiedenen Welt-Cups auch vorne nicht ganz mitschwingen? bei den Cüpli schwingen wir ganz oben. Zürich ist die helvetische Metropole der Cüpli-Gesellschaft? Glanz und Doria! Und jeder Zweite redet hier diese teutonische Sprache wie dieser deutsche Minister, der bei unseren schwarzen Steuerzahlen so rot sieht...
Als ich beim See ankam, war zappendustere Nacht? aber die Schiffe leuchteten wie buntgeschmückte Lichterbäume wegen des Wassers.
WOWWWW!
Was für ein Anblick!
Da lohnte es sich sogar im falschen Zug gesessen zu haben.
Im Hechtplatztheater kam ich dann mit ziemlich viel Verspätung an.
«IHR HABT DIE SCHÖNSTE KLEINE GROSSSTADT DER WELT», schmiss ich mich sofort ans Publikum ran.
Sie haben den Witz verstanden. Und darauf angestossen.
Die Zürcher sind gar nicht so.
Nur die vier Junkies grölten: «Wo bleibt der hochprozentige Stoff?!»
Allen kann mans nie recht machen.

Donnerstag, 20. November 2008