Von der Verhaftung in Cannes... und frivoler Gesellschaft

Donnerstag Als sie uns abführten, war mein erster Gedanke: «Gottlob habe ich frische Wäsche an.»
Weiss der Teufel, weshalb der Mensch bei seiner ersten Abführung an solche Banalitäten denkt.
Tatsache ist, dass mir später dann doch keiner an jene Wäsche ging. Aber vermutlich hängt die ganze Panik mit jenem mahnenden Ruf der Kembserweg Omi (Gotthabsieselig) zusammen:
«Ja, hast du auch frische Wäsche an?? was ist, wenn du ins Spital musst??»
Also? die Abführung fand in dieser Stadt statt, wo die Filmsternchen sich ihre Lippen und Brüste mit so viel Silikon aufpolstern, dass man damit problemlos 158 Wolkenkratzer abdichten könnte.
Onkel Nudelstadt und ich fuhren gemütlich auf dem Boulevard de la Croisette, als uns die Gendarmen mit Blaulicht den Weg abwürgten:
«Suivez-nous!»
Der Onkel schaute mich genervt an.
«Ja ist das wieder so eine neue Art von Anmache? Oder hast Du bei Hermès Krawatten geklaut?»
Da ich weder auf Uniformen noch auf Hermès-Krawatten heiss bin, konnte ich ihn beruhigen: «Es muss eine Verwechslung sein?»
Aber da wurden wir auch schon in einen stinkigen Polizeiposten abgeführt. Es ging zu wie in den Markthallen von Abu Dhabi. Der Ober-Jehudi befahl uns, Platz zu nehmen («Prenez place, Messieurs? ça va durer!»). Aber als Onkel Rudolf all die Plastikstühle mit den angehärteten Kaugummis sowie den eingetrockneten «Café au lait»-Resten auf den Sitzflächen sah, weigerte er sich. «Ici schö ne hock pas ab avec mes scholli Tschiins de Gucci? ämmel sertänmang pas dans sö Kaugümmi-Merde?»
JA HALLO? DA WAR ABER DIE SAU AB!
Der Onkel hatte den Staat beleidigt und dieser Staat hat immerhin Napoleon, die Witwe Clicquot und den Ziegenkäse hervorgebracht.
Mit finstern Blicken wurden wir an einem silbrig gerahmten, aber unschön vergilbten Foto, auf dem der alte General und die Inschrift «LA FRANCE C?EST MOI» zu sehen war, vorbei in einen Lagerraum geführt. Ein Duftgemisch von Unaussprechlichem, Moschus und süsslichen Joints erwartete uns. Das Angebot der menschlichen Spezies war mindestens ebenso krass: Damen in schillernden Miniröckchen von der Grösse einer Express-Briefmarke? Männer mit nudelbreiten Goldarmbändern und taubeneigrossen Brillanten am Kleinstfinger? zugekiffte Jugendliche, die mit eingefrorenen Blicken eine Betonwand anlächelten?
ALLES DA. UND WIR DARUNTER.
Einer der Männer? er trug sieben Goldarmbänder am linken Arm, und das Gewicht muss ihn gedrückt haben, als würde er 24 Stunden am Tag Kohlen vom Keller hochschleppen? also dieser Herr baute sich vor mir auf, liess 23 bunte Tattoos auf Brust und Oberarm kreisen (vermutlich auch anderswo, aber da kam ich optisch nicht ran) und zauberte wie Onkel Max an seinen Kindernachmittagen eine Rolex aus irgendeinem Hinterhalt hervor. Die Uhr war mit Brillanten übersät wie das Wiener Schnitzel mit Paniermehl.
Und: «Monsieur, une occasion? deux mille Euro» flüsterte er mir ins Ohr, wobei sein bleistiftdünner Moustache mein linkes Läppchen kitzelte und ich nach Onkel Nudelstadt äugte, weil der ja die Knete hat.
DORT GING ABER GERADE DIE POST AB!
An die Gucci-Hose meines alten Herrn lehnte sich eben eine der heissen Kleinstbriefmarken und fingerlte an seinem Sack rum. Im Sack aber war das Portemonnaie und: «NUDELSTADT!», rief ich schrill.
Er winkte grinsend ab. «Sie heisst Loulou? und das Geld habe ich schon längst in den Socken versteckt.»
KEIN WUNDER, NENNT IHN TANTCHEN STETS «MEIN ALTER GANOVE»!
Er stellte mich der Dame mit der veilchenblauen Perücke und dem kleinen Nasenring am linken Flügel vor: «Ssa sse mong nöwö? mä pas interessé chez les scholli filles? hähä.»
Dann zu mir: «Loulou ist Tänzerin im?Chez Arthur?.»
Ich betrachtete die Kleine mit den grossen Füssen und den langen Händen. Jeder Busen hatte die Form eines amerikanischen Fussballs und war sicher auch so hart. Als der Onkel das mit dem «pas interessé» gesagt hatte, blinzelte mir Loulou verschwörerisch zu:
«? isch ausch hab Surprise zwischen les jambes?»
Beim gemeinsamen Plausch stellte sich dann heraus, dass Loulou eigentlich Heinz-Hugo hiess und mit einem Umweg über Casablanca aus Wanne-Eickel kam.
«Où sont les Bâlois?», brüllte einer der Gendarmen?
Dann zu mir: «Votre numéro?»
Der Onkel grinste: «Wer hätte gedacht, dass sie in deinem Alter noch an einem Nümmerchen von dir interessiert sind?»
Nach fünf Minuten standen wir um 380 Euro erleichtert wieder auf der Strasse. So viel kostet es, ohne vorderes Nummernschild in Frankreich rumzubüchsen (ich hatte es beim ordinären Zusammenstoss mit einem Gemüsekarren verloren). Hinten hatte ich die Nummer drauf. Aber an meiner hintern Nummer war keiner interessiert.
Die Staatsbeleidigung schenkten sie uns dann freundlicherweise.
«Wo seid ihr auch gewesen?», jammerte Ruthchen, die liebste aller Tanten zwei Stunden später ganz in Versace gerüscht, «das Programm?Chez Arthur? hat vor einer halben Stunde begonnen?»
Onkel Nudelstadt reichte ihr den Arm. «Den ersten Akt haben wir bereits hinter uns?»

Donnerstag, 16. Oktober 2008