Von der Krankenstation, Kachelmiesli und Liesel...

Donnerstag Tom hat mich angesteckt.
ANSONSTEN IST ER JA NICHT BESONDERS FREIGIEBIG.
Man könnte fast sagen, er kommt krass nach Tante Hubertine. Und knausert rappenstark. Oder andersrum: Er ist der Typ, der seiner Angebeteten auf den Valentinstag eine Aktions-Primel schenkt.
Da lampt dann nicht nur die Primel.
ABER BEI GRIPPENVIREN VERTEILT ER GROSSZÜGIG.
Zuerst beglückte er Innocent. Dann mich. Unsere kleine Kommune ist nun eine Krankenstation, an der die «Médecins sans Frontières» ihre Freude hätten. In jeder Ecke röchelts. Hustets. Keuchts. Im Gegensatz zu den Kriegs- und Katastrophengegenden dieser Welt fehlt bei uns jedoch das Personal.
NA DREI MAL DÜRFEN SIE RATEN, WER HIER ALS SCHWESTER OBERIN DES ROTEN HALBMONDES RUMEIERN UND DIE FIEBERMESSER STECKEN MUSS.
Danke. Sie habens geschnallt.
Bei Innocent sieht das Krankenbett aus wie das Ersatzteillager bei meinem Garagisten Enz. Überall liegt Mechanik herum: Die Hörapparate pfeifen aus dem Glas mit dem Orangensaft. Der Apnoe-Schlauch windet sich am Bettende wie eine vertrocknete Schlange aus dem Duvet (ich frage mich, wie das Ding dorthin kommt und seit wann die Atemnot in den Zehen stattfindet). Dann immer das Geschrei nach den Zähnen: «Wo ist die Brücke? Wo ist die Brücke?»? (Da gabs doch diese Clownnummer von Rivel: «Eine Brücke... eine Brücke». NUR IST DAS HIER PECHSCHWARZE ALLTAGSSATIRE.)
Wenn ich also Innocent nicht irgendeinen heissen Zwiebelwickel auf die Brust lege (und mir sein tuckiges Gezeter anhören muss: «Ich will nicht wie eine vergessene Quiche Lorraine stinken, wenn der schöne Herr Doktor kommt!»)?, wenn ich also nicht Orangen aus Sizilien auspresse, Tee aus Ceylon koche und Tonnen von durchgeschneuzten Kleenex-Papieren bündle (kleine Frage: Wo würden Sie durchgeschneuztes Kleenex umweltfreundlich entsorgen?? Papierabfall mit den gebündelten Zeitungen? Metallabfuhr wegen der Eisenbelastung des Auswurfs?) BREF: WENN ICH ALSO NICHT DIE KRANKENSCHWESTER RAUSHÄNGE, KOMMT DAS GEQUÄNGEL AUS JEDER ECKE: «Du hasts gut... nur ein bisschen Schnupfen... und Plattfüsse tun ja nicht weh... also mach uns ein leichtes Omelette und etwas getoastetes Weissbrot mit einem Hauch von Parmaschinken drauf? schneid aber den Fettrand weg!»? JA MEINE LIEBEN: Wenn ich nicht schon Fieber hätte, wäre ich spätestens jetzt auf 41 Grad!
Mit Tom, unserem grosszügigen Virenspender, ist es da anders.
Er sagt nicht viel. Aber er schaut in dieser Hoffnungslosigkeit aus den Federn, wie der Dackelhund, dem man eine Wurmkur verschreibt.
«Ach, Ratte», keucht er mit seinen 36,8 Grad Fieber? ich will dich ja nicht auch noch stressen. ABER KÖNNTEST DU MIR ZWEI BANANEN MIT DER GABEL VERDRÜCKEN, EIN BISSCHEN ZITRONENSAFT DARUNTER... NEIN, NEIN, KEINEN ZUCKER... EINFACH SO. VERGELTS GOTT, DU GUTE SEELE...»
ER vergeltet mir auch zwei Zwieback («aber bitte Vollkorn? und nur leicht, ich sage leicht gebuttert») sowie ein «Kachelmiesli», das so sein muss, wie es seine liebe Mamma immer gemacht hat («mit einem Hauch von Vanille und oben leicht karamellisiert!»).
Da ich die Kochkünste von Toms lieber Mama kenne, bin ich überzeugt, dass diese ein Dawa angerührt oder zum TamTam gegriffen hat.
Mitten in die Krankenstation ruft dann auch noch Liesel an. «Ja, hallo, ihr Saububerln? was schleichts euch rum, ohne der lieben Liesel gueten Tag z wünschen? Y hob langer Zeiti nach meinen Rabauzi-Mannerln...»
«Das Rabauzi liegt ohren- und zahnlos im Bett», gebe ich die Situation arschkalt durch.
«Au mai aber!», kreischt das Salzburger Busen-Nockerl auf, «ja saads wieder halbnackerig rumglaufen, ihr Hallodris?»
Kaum ist der Salzburger Trachten-Drache an Innocents Ohr, sind alle Schmerzen weggeblasen. Nur die Wallungen steigen rasant wieder an, sodass der Zwiebelwickel ein zweites Mal zu dampfen beginnt: «Ja, Liesel, meine kleine Süssmaus? du glaubst gar nicht, wie ich dich in diesem Moment vermisse. Hier ist die Hölle los und...»
DIE SCHWESTER OBERIN ÜBERLEGT, OB SIE DEN VITAMINSAFT NOCH MIT EINEM LÖFFEL STRICHNIN ANREICHERN SOLL!
Plötzlich aber fällt der euphorische Ton in sich zusammen, wie ein Spinatsoufflé, das im Durchzug steht: «... ach Lieselchen. Natürlich würde ich dich zur Fasnachtszeit gerne bei uns haben... aber ich habe Angst, dass du dich anstecken könntest... und der Basler Virus ist ja ganz schrecklich... er bringt die Busen zum Schrumpfen und macht unreine Haut... überdies fallen die Haare aus und, ach Lieselchen... bist du noch dran!?»
Innocent streckt mir den Hörer hin. «Sie will dich!»
Liesel ist für einmal seltsam knapp. Und erstaunlich klar: «Sog diesem depperten Waichai, s?konn my kreuzwaisi? am Morgenstraich bin y doo. Y hob mer net umsonscht a fesches Marienkääfer-Dirndel schneidern lossen...»
«Was hat sie gesagt?», flüstert Innocent aus dem Krankenbett.
«Gute Besserung!», sage ich.

Donnerstag, 26. Februar 2009