Von der Hochzeit in Rom und dem Wunder von Max

Donnerstag - Also Hochzeiten muss man sich in Italien wie diese Pfannen mit Popcorn vorstellen: ein bisschen Öl auf den Pfannenboden... Maiskörner rein... Und schon rattert die Explosion los. WEHE DEM, DER DEN DECKEL VERGESSEN HAT!
In Francos Familie haben sie alle den Deckel vergessen. Es knallt und explodiert nach links und rechts. Da ist eine Aufregung, als käme im Hühnerstall der Fuchs auf Besuch. UND GELDER WERDEN VERSCHLEUDERT? ALSO DA SIND UNSERE BANKENHEINIS PFEIFEN DAGEGEN!
Wie bei den Banken werden auch für italienische Hochzeiten überall Kredite aufgenommen. Nur so können die Aktien beim Bräutigam steigen. Denn? so die Brautmutter Mimma? «man heiratet schliesslich nur einmal!».
Stimmt. Sie selber bereut ihren Fehler nach 35 Jahren heute noch? und erforscht Giftbücher nach einer radikalen Lösung.
«Mein Kind soll es besser haben», ist das Credo jeder Mamma. Also belastet man die Wohnung mit einer dritten Hypothek, verkauft ein Stückchen Land in Kalabrien und bringt das Zahngold der Oma ins Pfandhaus? DENN ES SOLL EINE FETE WERDEN, DASS ES KRACHT. «ALLA GRANDE!»? So nennen es die Italiener.
Im Moment sind sie bei der Platzverteilung. UND DA SOLLTET IHR MAL DABEI SEIN. Beide Parteien am Tisch brüllen sich an. Sie kritzeln 329 Namen in Zehnerformationen auf Küchenpapier. Streichen Namen. Setzen sie um. Und zerreissen laut schreiend das Küchenpapier wieder? denn man kann einen AS-Roma-Anhänger nicht neben einen Lazio-Fan setzen. Die ledige Mutter darf nicht an den Tisch des Pfarrers. Und den heissen Alfredo muss man von den Jungfrauen fernhalten? er geht da drauflos wie Lumpi auf Schappi.
Natürlich sind die Kleider das Wichtigste. Jeder und alles muss sich auf das Fest hin neu gewandet präsentieren. Die Braut hat die Anproben schon hinter sich. Nur platzt jetzt nach einem Wochenende zwischen den Schinken von Parma und dampfenden Tortellini aus Bologna der Satin aus sämtlichen Nähten.? Seit Tagen zieht sich Antonella mies gelaunt nur noch «Bistecca magra» rein. Sie träumt von den Flitterwochen in Sizilien, wo dieser Tortur? wie sie es vor dem Magerfleisch weinend kundtut? «ein für allemal mit täglich drei Pfund Marzipanfrüchten der Schlusspfiff geblasen wird».
Der Bräutigam hat diesen glasigen, verliebten Blick des kleinen Jungen vor dem Geburtstagskuchen, bevor er dran darf... Wer den Blick des Brautvaters sieht, weiss, wo das später einmal alles hinführt.

Freitag - Heute breiten sie ein Sammelsurium von Scheusslichkeiten auf dem Tisch aus. Es geht um die «Bonboniera». Jeder Hochzeitsgast bekommt eine. Es sind diese Prothesenkiller aus weissem Zucker mit der Mandel drin. Sie werden in Tüll abgefüllt. Und mit Kunstseide belätscht. Dazu hängt man ein Andenken an den unvergesslichen Tag.
In Italien gibt es eine riesige Industrie, welche solche Scheusslichkeiten vertreibt? Döschen mit küssenden Jesuskäfern drauf... Steingut-Feen, die Herzchen aushauchen... Engelchen mit Kussmündern wie Dolly Buster? alles zerbrechlich. Wie das Glück der Ehe auch.
Wieder explodieren die Stimmen rund um den Tisch. Die Braut ist für das Keramikröschen mit den Kusskäfern... Die Brautmutter für den kleinen Zwerg mit der Schubkarre... Und «wo entsorgen wir das?!», flüstert Innocent entsetzt, wie sich schliesslich alle auf das rosige Schweinchenpaar mit Schleppe und Zylinder einigen. Das Paar ist aus Hartgummi. Und kann nicht einfach zerbrochen werden...

Samstag - Die Magerfleischkur hat bei Antonella einen Eiweissschock verursacht. NUN SIEHT IHR BRAUTGESICHT SO VERBORBELT AUS, ALS HÄTTE ES EINEN AUFTRITT IN DER NÄCHSTEN HORRORSHOW.
Das arme Kind ist mit den Nerven total fertig. Die Brautmutter auch. Sie reibt die gelblichen Borbeln mit Essig ab. Die junge Braut schreit auf? die Borbeln wie auch die Nase haben nun die Farbe von frisch geernteten Erdbeeren. Und wer Heinrich Gretler im Kopf hat, weiss, wovon ich rede...
Der Bräutigam hat das glasig Verliebte in seinem Blick verloren. Er will nicht mit Heinrich Gretler in die Hochzeitsnacht.
Die Familie sinkt unisono vor dem kleinen Küchenaltar auf die Knie. Und erbetet ein Wunder. Dieses kommt in Form des Quartierpriesters. Der Mann ist Kummer gewohnt und schleppt neben dem Fläschchen mit der letzten Ölung einen Schminkkoffer von «Max Factor» mit. Nun spachtelt der Prete Antonellas Gesicht mit Flüssigpuder zu, wie Bauer Sepp die verwitterten Windlöcher seiner Berghütte mit Kuhmist. Die Schminkerei dauert zwar drei Stunden? aber der Bräutigam hat danach wieder den verliebten Blick aus Glas.
«Grazie Dio»? erhebt der Pfarrer die Augen zum Himmel.
«Thank you, Max»? küsst die Braut das Puderdöschen.

Sonntag - Mit tausend Listen habe ich Innocent doch noch in dieses Geschäft mit den Übergrössen gelotst. Nun steht er in einem grasgrünen Anzug, in welchem silberne Nadelstreifen flimmern, wie ein gestrandetes UFO vor mir. Er hadert mit der Welt: «... weshalb müssen wir überhaupt an diese Hochzeit?!»
WIR SIND EBEN AUF DER LISTE DER 329. Und: Man hat den scharfen Alfredo zwischen uns gesetzt.
Ist ja auch nicht nichts!

Samstag, 17. Juli 2010