Vom Märchen der Artischocken und Angelas zartem Hintern

Donnerstag Natürlich hat sich meine Tante Nettchen vom ersten Moment an unserem Gärtner an die Hose geworfen.
«Ohhh? du sein Gianni?»
Das «OHHHH» tönte so verlangend, wie das Jaulen eines Hundes vor der aufgehängten Wurst. «Ich sein Nettchen? und Nettchen lieben südliches Mannsbilder, wo heiss sind wie das Lava von Spuckevulkan...»
Dann brüllte sie, als stünde Gianni mit dem Hörrohr vor ihr: «KANNST DU MICH VERSTEEEEHEN?»
Selbst ein abgetackelter Papagallo, der schon 35 Jahre seine Rente in den Spielapparat wirft, hätte die Brunstschreie meiner Tante verstanden. Gianni stierte das kleine Frauchen leicht irritiert an. Warf sich dann in Pose, wie der amerikanische Präsident, bevor er wieder einen Angriff vermeldet: «Oh bella Signora... capisco... CAPISCO!»
Er zwinkerte mit dem linken Auge, bis es tränte. Und die Tante gurrte und kicherte, wie ich solches nur in den miesesten Pornoserien von «Doktor Geilinger und seine heilenden Hände» miterleben musste.
«Hör mal Nette? dieser Mann hat anderes zu tun, als ausgedorrte Äcker zu pflügen!», geiferte ich missgelaunt. «VOR ALLEM GEHTS UM MEINEN ACKER!»
Seit Wochen liege ich Gianni in den Ohren, er müsse endlich die Artischocken schneiden. Gianni liebt Artischocken. Sie machen nicht viel Arbeit. Und kommen jedes Jahr ganz einfach so. Gianni tut dann, als hätte er jede einzelne Staude selber erfunden. Von Hand habe er sie spritzen müssen, als wir noch in diesem schrecklichen Ort, den man Basel nennt, gewesen seien. Alle drei Tage habe er die jungen Blüten mit Bier abgewaschen, damit die böse Marderfliege nicht drangehe. Und dann habe es Tonnen von Artischöckchen gegeben? so zart wie der «Culo» von Angela, welche in der Bar «Giulia» die Fischer anmache. Und natürlich seien wir in diesem vermaledeiten Basel gewesen und hätten seine Arbeit nicht würdigen können...
LÜGEN. NICHTS ALS LÜGEN.
Jeder weiss, dass die Artischocke ganz von selber kommt, kaum Wasser braucht und selbst die geilste Marderfliege eine Kurve um die spitzen Stacheln zieht.
ARTISCHOCKEN SIND PROBLEMLOS.
Dennoch schlägt ihre Pflege meiner Gärtnerrechnung mit 530 Euro Arbeitsaufwand und 15 Flaschen Bier à 3 Euro 95 zu Buche.
WESHALB KÖNNEN ARTISCHOCKEN NICHT GEWÖHNLICHES ITALIENISCHES BIER SAUFEN? MUSS ES AUSGERECHNET IMPORTIERTES HEINEKEN SEIN?
Als wir dann auf die Insel kamen, waren die Stauden schon alle so dörr wie Nettchens Lenden, auch wenn letztere jeden Morgen mit Tibeter-Übungen gelockert werden.
Wo der Saft raus ist, ist nun mal der Saft raus. Und dazu stechen sie noch (die Artischocken), als hätte man in eine missmutige Igelfamilie gegriffen.
Es ist also höchste Zeit, die verdorrten Stauden zu schneiden, weil sie mir wirr schwirrendes Zeugs wie Stechmücken, Wespen, die ersten Hornissen und letzten Mistkäfer aufs Land locken.
DOCH WAS TUT GIANNI?
Er legt sich in die Hängematte, schnarcht durch den Tag, um dann nachts wieder «topfit» auf der Piste zu sein. WIE SONST HÄTTE ER DAS VOM CULO DER ANGELA GEWUSST?
Na also!
Als Nettchen sich abends dann den schweinchenfarbigen Pyjama mit dem aufgestickten Kreuzstich «die Hoffnung stirbt immer zuletzt» anwarf, schwärmte sie vom «poetischen Natürell» unseres Gärtners. «Ihr solltet Gott auf den Knien danken, dass ihr so einen sensiblen Menschen für eure Tomaten habt.»
DER und sensibel? Jedes Schmirgelpapier hat mehr Feingefühl!
Nettchen tüncht ihr Gesicht mit einer weissen Creme, so dass sie aussieht wie dieser Zirkusclown, der immer recht haben will: «Gianni hat mir die Geschichte von der Artischocke erzählt. Ganz unglücklich ist sie im Felde gestanden. Sie weinte bitterlich, weil ihr der liebe Gott diese garstigen Stacheln gegeben hatte. Und weil keiner sie mochte ausser im gekochten Zustand...»
UMSHIMMELSWILLEN. Jetzt geht Gianni auch noch als einer dieser nervensägenden Märchenköche in die Geschichte der Pfannenserien ein.
«...und da ist die gute Fee Aurora gekommen. Mit ihren feinen Händen hat sie die Artischocke gestreichelt? am andern Tag geschah ein Wunder: Die Artischocke wurde zur schönsten Blume dieser Welt!»
Ich wünschte mir Gianni hätte in den letzten 20 Jahren nur EINE Minute so viel Elan für den Garten wie für diese Heulgeschichte aufgebracht.
Am nächsten Morgen jedoch unterbricht Nettchen ihre fünf Tibeter mit einem spitzen Schrei? sie zeigt stumm auf die Felder unter dem Haus. Und die sehen aus, als hätte sie jemand über Nacht in kornblumenblaue Tinte eingetaucht: Jede der verdörrten Artischockenstauden zeigt eine wunderschöne Blume in der Farbe reifer Pflaumen.
«Oh Gianni...», schmachtete die Tante später zum Gärtner, «was du alles kannst...»
«Vielleicht sollten wir jetzt endlich die Tomaten für September anpflanzen...», unterbrach Innocent das Gesäusel.
«Tomaten bringen viele Krankheiten», warf Gianni einen gehässigen Blick zu Innocent. «Man sagt, ihre Säure sei für die Mägen alter, buckliger Männer total ungeeignet. Ich kenne da übrigens eine Geschichte...»
Bestimmt topft er Rotkäppchen in eine ureigene Tomatenstory um!

Donnerstag, 3. Juli 2008