Glatte Welt

Als ich kürzlich vor meinem 49. Geburtstag in den Spiegel schaute (O.k. Der Jahrgang ist so falsch wie eine Louis-Vuitton-Tasche vom Strassenhändler), als mir also diese verschwollenen Augen, die schlimme Träume und eine noch wüstere Nacht gesehen hatten, entgegenglotzten, wusste ich: ES MUSS ETWAS GESCHEHEN!
Dann weinten die Geschwollenen bittere Tränen. Derart aufgelöst traf mich Innocent im Badezimmer.
Nun machten mir sein dahingehustetes «mach ja keine Zahnpastaschlirge ins Spülbecken!» ebenso wenig den Tag besser wie sein verknittertes Äusseres. Ganz objektiv betrachtet, gibt es nichts Ärgeres als ein alter Mann in schlabbrigen Bermuda-Unterhosen, über welche der Bauch so aufgegangen ist wie die Hefe eines Sonntagszopfs.
Innocent fingerlte dann noch mit strafendem Blick an der Zahnpastatube herum: «Die gehört korrekt links ins Glas!» Betont uninteressiert überging er meinen Nervenzusammenbruch und die sonst so kuhäugig schönen Äuglein, deren Tränen sich den Weg über drei Lagen Kinn suchten. «Findest du mich noch attraktiv?»? schluchzte es über den zitternden Kinnlagen.
Aber da Innocent seinen Hörapparat erst nach dem Duschegang einfädelt, nürzte er nur: «Wer ist hier radioaktiv? Ja wollen wir Strom oder wollen wir keinen Strom?!»
Mittags ging ich zum Professor Scalpelli? einem Meister seines Fachs.
«Gibt es eigentlich Schönheitsoperationen auch fürs harte Geschlecht...?» Herr Scalpelli lächelte gütig: «Sie ahnen ja nicht, wie viele Männer sich mir und meinen Messern anvertrauten. Im Zeitalter des Bildtelefons sowie Cam-to-cam-Chats werden es immer mehr. An was haben Sie denn gedacht?»
Ich sniefte unglücklich. «Schauen Sie mich mal an!»
Er hüstelte. «Eine Ganzrevision? So etwas geht aber arg ins dicke Tuch? und ich muss Ihnen gleich sagen: Die Krankenkasse bezahlt nichts. GAR NICHTS!» Dann machte er eine geschickte Pause, wie Herr Mörgeli, als er mir damals den neuen Steamer-Ofen angedreht hatte: «Es ist natürlich eine grossartige Investition? und bringt ein ganz anderes Lebensgefühl...!» Scalpelli klatschte wie ein Zirkusdirektor in die Hände. Schon kam ein Reigen von wunderschönen Assistentinnen. Sie umtänzelten den Chirurgen wie diese TV-Tussis die italienischen Moderatoren. Sie fotografierten mich. Und schliesslich wurde ich ausgemessen wie Olgis Schlafzimmer, als die sich eine Kastenwand einbauen liess.
Durch wunderbare Zauberkraft erschien ich jetzt auf einem grossen Bildschirm. Schon hebelte Meister Scalpelli an Knöpflein und Rädlein? der Bauch wurde flach wie ein Bügelbrett, das Kinn zog sich magisch auf einfache Art zurück. Und dort, wo die Augen diese Schwellungen zeigen, die uns immer mindestens so nerven wie das zu stark gefüllte Handgepäck der Fluggäste? DORT WAR? hokuspokus!? PLÖTZLICH ALLES GLATT UND SCHÖN.
Ein fremder Mann lächelte mir entgegen, der einerseits nach Bad Pritts Grossmutter und andrerseits nach Peter Alexander kam. «Bin ich das?», erkundigte ich mich unsicher.
«Das könnten Sie in zwei Monaten schon sein», lächelte Scalpelli. «Wir haben Warteliste...»
«Ich weiss nicht recht...», zögerte ich. Bad Pritt wäre noch o.k. gewesen. Aber dann dieses heitere Dauerstrahlen von Peter Alexander? Überdies waren die Lippen zu schmal.
«Die Lippen...», wandte ich ein. «... kosten 3000 extra. Wir spritzen sie auf und...» Er hebelte wieder an den Knöpfchen rum. Nun schaute mir Roberto Blanco entgegen.
ICH KENNE DIESE LIPPEN! Dora hat sie auch ganz neu. Sie, die ein Leben lang mit zusammengekniffenem Mund jedem Genuss asketisch abschwor, tauchte eines Tages plötzlich auf wie Dolly Buster vor dem Blow Job. Eine einzige Injektion hatte aus zwei schmalen Strichen prall aufgeblasene Luftkissen gemacht? seither nuggelt sie nur noch Cocktails mit Strohhalm. Alles andere wäre total daneben? wenn Dora heute nämlich ein Glas an ihren XXXL-Mund hält, sieht es aus, als hätte sich die Flaschenpost zwischen zwei Luftmatratzen verirrt. «Ich will mirs überlegen», sagte ich zu Scalpelli. Der lächelte maliziös: «Aber nicht zu lange... nach 70 können wir keine Wunder mehr vollbringen!» Zu Hause erklärte ich Innocent: «Ich bleib? so wie ich bin...!» Der: «Das ist noch lange kein Grund, die Zahnbürste falsch ins Glas zu stellen...»

Montag, 16. Juni 2008