Pussibär

Ulla rieb sich das Genick: In der Adventszeit schmerzte es am meisten. Da war Hochbetrieb. Und ihre Halssäule ertrug keinen Stress. Vor sieben Jahren hatte ihr ein Freier eine Szene gemacht. Er stellte Forderungen, die nicht einmal ein Schwein erfüllen konnte. Und irgendwo hatte sie ja auch ihre Grenzen. Also sagte sie «NEIN». Mit dem Handkantenschlag hätte er ihr beinahe das Genick gebrochen. Der Mann machte sich fluchend aus dem Staub. Ein halbes Jahr war sie damals ausser Gefecht gewesen. Und lief mit einer Riesenmanschette um den Hals herum. Einige Kunden törnte das an. Sie versprachen das doppelte Honorar, wenn sie mit der Manschette... «NEIN!»
Ulla küsste ihren grauen Teddy, den sie noch aus einer unbeschwerten Mädchenzeit in ihr heutiges Leben rübergerettet hatte: «SO EIN PUFF? PUSSIBÄR!» Und «brrrruaaahhh» antwortete der. Pussi hatte einen Mechanismus im Sägemehlbauch eingebaut. Der brummte los, wenn man ihn fest drückte.
Dann klingelte es wieder. «Ich bin Hans», sagte der Kunde.
Die meisten nannten sich «Hans». Es war, als würden sie mit einem neuen Namen auf einen andern Planeten hüpfen. Ulla war als 20-jährige Bürofachfrau aus Hamburg weggezogen. Sie wollte in der Schweiz die grosse Kohle machen.
Ihre Mutter drückte ihr weinend Pussibär in den Arm: «NIMM DEN WENIGSTENS MIT? DANN DENKST DU IN DER KALTEN FREMDE AN UNS!» «Ach Mutti, im Süden ist es wärmer», hatte Ulla gelacht. Und sich zuerst als Barfrau über Wasser gehalten. Ein Gast nahm sie dann zu sich nach Hause. Buchhalter. Dreizimmerwohnung. Schweizerische Enge? auch im Kopf. Als er sie aufforderte, sich finanziell am Frühstückskaffee zu beteiligen («und die Maschine sollte auch entkalkt werden!»), da liess sie ihn sausen. Machte ihre eigene Buchhaltung im Kopf. Und schaffte an. Als Bürofachfrau konnte sie gut rechnen. Sie verzichtete auf einen Zuhälter. Arbeitete im Alleingang. Und brachte die Honorare auf eine Bank.
Das Konto wuchs schnell. Und der Schalterbeamte riet ihr zu Bankaktien. Drei Jahre später kam es zum Kursabsturz. Und sie war um zwei Drittel des Gesparten ärmer. Da hätte sie sich auch gleich einen Zuhälter nehmen können...
Ullas Mutter telefonierte jeden Tag. Und dann plötzlich aus dem Krankenhaus. Ulla schickte Geld für die Chemo. Geld für eine Halbtageshilfe. Geld für Medikamente. Die Mutter wusste nichts von der Arbeit ihrer Tochter. Sie glaubte an das Schweizer Wirtschaftswunder. Und: «Es ist der helle Wahn, was meine Tochter als Bürofachfrau bei den Eidgenossen abkassiert...»
Hans zog sich den Kittel aus. Dann die Hose. Er band Ulla mit Handschellen an den Bettpfosten. Betrachtete sie lächelnd. Und holte eine Plastikflasche aus der schwarzen Mappe.
Dann übergoss er Ulla mit Benzin. Noch bevor sie schreien konnte, war das Zimmer abgefackelt. Das baufällige Haus wurde ebenfalls ein Flammenmeer. «INFERNO IM PUFF», titelte die Schlagzeilen-Mafia. Und: «DIE GANZ HEISSE NUMMER!»? das Gratisblatt des Landes. Ulla war bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Nur die Handschellen überlebten schadlos. Und wunderbarerweise Pussibär? er wurde mit der Asche seiner Besitzerin nach Hamburg geschickt. Die alte Frau drückte den Teddy mit verweinten Augen an sich: «Das gute Kind!» Und «brrrruahhh...» antwortete der Bär.

Montag, 3. Dezember 2012