Politische Farben

Eigentlich wollte ich hier etwas zum nervenden Problem schreiben: «WESHALB BLINKT EINE ESPRESSOMASCHINE MORGENS IMMER DANN, WENN EH JEDER ZU SPÄT DRAN IST MIT DER AUFFORDERUNG WASSERTANKFÜLLEN
Das Thema wurde von der Kommission abgelehnt.
Auch die übrigen Redaktionen aus der ganzen Schweiz füllen mir meine E-Mail-Post: «Was sagst du zu Blocher?? Bitte alles in 3000 Anschlägen!»
ICH HATTE NIE VOR, AUF BLOCHER ANSCHLÄGE ZU VERÜBEN.
Und was sagt man schon zu einer schweren Putzmaschine, deren Stiel nach links und rechts beweglich war und mit der die Kembserweg-Omi einst das Parkett dieser Welt polierte? DOCH DANN WURDE DER BLOCHER VON MEISTER PROPER ERSETZT. DIES, NOCH BEVOR ICH MICH RECHT MIT SEINEM STIL AUSEINANDERGESETZT HATTE.
«Zeig Farbe!», höre ich jetzt da und dort.
WELCHE FARBE BITTE? Ich mag es nicht, wenn man Ansichten einfärbt und sie? noch schlimmer? in Farbtöpfchen spazieren führt...
Überhaupt ist es mit der Farbe in Basel ein Problem? wie mit der Politik auch.
Am Rheinknie kommen Buben rosa zur Welt. Und Mädchen himmelblau. Das ist einzig. Und verkehrt. Weil sonst ist es weltweit andersrum.
Dass man in Basel auf Farben nicht allzu viel geben kann, haben meine lieben Eltern bald einmal merken müssen. Denn? «Rosa, rosa! Ein Bub!», schrie die Hebamme aufgeregt bei der Entbindung. Und wickelte mich in katzenzungenfarbig Wollgestricktes.
«Wenns ein Bub ist, sollte er ein blaues Käppi tragen», meckerte Tante Irmgard aus Herisau im Appenzell verstimmt.
«Bei uns ist eben alles anders!», gab die Basler Verwandtschaft dem Landei den Tarif durch.
Und dann wurde es auch anders? das rosige Bübchen hätte nämlich lieber Himmelblaues getragen und war schon bald einmal allerorts farblich «suspekt».

Etwas Rechtes. Mit der Politik wars genau so ein Drama: Der junge Vater wählte SP und gab in der Gewerkschaft «diesen Rechtswixern» den Tarif durch. Die schöne Mutter bestieg das Schiff der Liberalen. Und nannte Vater einen «Blutaussauger und roten Hund».
An den Mittagstischen flogen Politik und Worte wie ein Matchball zwischen Federer und Nadal hin und her:
«Ihr Kapitalisten-Wixer!»
«Du Proleten-Wurm!»
Das Kind sass dazwischen und hätte gerne eine zweite Portion vom Pudding gehabt. Es wurde übersehen. Nur als es später mit seinen Strebernoten viel Freude bereitete, tätschelten sie ermutigend seinen Arm: «Aus dir soll etwas Rechtes werden!» (Mutter)
«ETWAS RECHTES HEISST ETWAS LINKES!» (Vater!)
So geschädigt wurde das Kind gar nichts. SONDERN JOURNALIST. Und als der Vater dann die Mutter rechts überholte und letztere sich mit dem Gedankengut der POCH anzufreunden begann, kapierte der junge Mann erstmals die knurrenden Worte der blochernden Kembserweg-Omi: «POLITIK IST DIE GRÖSSTE HURE!» Es beschloss, von beiden die Hände zu lassen.
In der Zeitung setzte man ihn im «Briefkasten» ein, hin und wieder auch für die Rubrik «bunte Abende im Vereinsleben».
In den Redaktionskonferenzen ging es nun ähnlich zu wie am Mittagstisch der Eltern. Wenn der junge Mann eine Idee einbringen wollte («Wir könnten doch etwas über den Sockenball bringen»), liess man die Socken genau so links und rechts liegen wie einst seinen Pudding.

Links wie rechts. Von den Lesern der Zeitung wurde der Alltagsschreiber immer wieder auf politische Farben angesprochen: «... also dieser Artikel über die Steuerreform... das muss doch ein SP-naher Journalist sein!»
Oder «... weshalb gebt ihr diesem Rechtsschleimer eine ganze Seite für eine Gastkolumne? Der hat doch das Fascho-Zeichen auf dem Arsch tätowiert!»
Kurz: Die Zeitung war den einen zu links. Den anderen zu rechts.
Als ich die erste Fusion und den bereits zwölften Chefredaktor hinter mir hatte, schrie Basel auf. «Wo ist unsere gute alte BN? Wo ist die kämpferische NZ?» ABER KEINER HÄTTE AUCH NUR EINEN FINGER FÜR DIE ZEITUNG GEKRÜMMT. KEINER HÄTTE SICH JE FÜR SIE EINGESETZT. NUR. LESERBRIEFE... LESERBRIEFE... LESERBRIEFE... links. Wie rechts.
Daneben war die gestresste Verlegerfamilie, die sich über ein halbes Jahrhundert an jeder Einladung anhören musste: «Sagen Sie doch mal Ihren Schreiberlingen...!»

24. Chefredaktor. Die Zeitungszeilen wurden das nützliche Instrument politischer Parteien? und die Journalisten die gutmütigen Trottel, die sich vor die Karre spannen liessen. Ob links. Oder rechts. Ob schwarz. Oder rot.
Irgendwie war mir rosa mit Puddingthemen wohler...
Und nun also mein 24. Chefredaktor. Lustige Protestknöpfe, deren Produktionspreis wohl etwas überrissen ist. Dazu 38 Sujetanmeldungen «mir blochere bach ab!». Und selbst das Zürcher Fernsehen, das sich ansonsten ja nur nach Basel bemüht, wenn die Chemie in die Luft geht, findet für die Blocher-Katastrophe wieder einmal den Weg an den Rhein...
Schreib einen politischen Kommentar? schreien plötzlich alle.
AUSGERECHNET ICH, DER AUF DER PUDDINGSEITE ZU HAUSE IST?
Es ist in den fünf Worten der Kembserweg-Omi alles gesagt: POLITIK IST DIE GRÖSSTE HURE.
Und auch die Politik hat keine Lösung zum Problem: WESHALB BLINKT EINE KAFFEEMASCHINE MORGENS IMMER, WENN EH JEDER SCHON ZU SPÄT DRAN IST, MIT DER AUFFORDERUNG «WASSERTANK FÜLLEN!»?

Montag, 22. November 2010