Olympia-Frust

Da hockten sie!
AUSNAHMESITUATION.
Vater und Sohn schaufelten das Abendessen vor der Kiste rein.
Vally hätte ihnen auch eine Zahnpastatube servieren können. KEIN BLICK AUFS ESSEN. KEIN BLICK AUF DAS WIRKLICH GELUNGENE RISOTTO (sie hatte das Rezept im letzten Betty-Bossi-Heft rausgelegt und nun diese etwas gewagte Kombination mit Erdbeeren und Parmesan versucht).
Das Schlimmste: KEIN BLICK AUF SIE! Nur: «Mammi, könntest Du uns noch rasch ein Bier...»
Selbst für einen vollständigen Satz reichte die Aufmerksamkeit nicht mehr. NUR NOCH FÜR SPORT! DIE WELT WAR NUR NOCH SPORT.
Seit das alte Mädchen auf der Insel aus dem Helikopter gehüpft war, um die Spiele zu eröffnen, ging daheim gar nichts mehr. Die Klospülung hatte Dauerlauf. Dies seit vier Tagen. Michel winkte jedes Mal ab: «JETZT NICHT, MARTHA! JETZT KOMMT BEACHBALL!»
Mal Beachball. Mal Schwimmen. Dann das arme Kind in diesem Schweizer Glimmer-Clown-Outfit, das sich zum Schluss wie ein abgeschossener Helikopter in der Luft drehte. Und dann nicht richtig auf die Beine kam.
DAS WAR DIE TOTALE KATASTROPHE. Beide Männer schwärmten für die Kleine. Und waren guter Hoffnung.
Und das war ja das Allerschlimmste: all die enttäuschten Hoffnungen! Als dieser arme Velofahrer die Kurve kratzte, ging ein Schrei durch das Wohnzimmer. Martha jagte in die Stube. Die beiden Männer standen vor der Coach und wollten nicht glauben, was sie da sahen.
«Weshalb geben die dem Mann nicht Jod auf die Wunde?», war das Erste, was Martha dachte.
Stumm servierte sie zwei Drittel des köstlichen Apfel-Birnen-Kuchens wieder ab? vorbei am Badezimmer, wo die Spülung noch immer einen medaillenverdächtigen Dauermarathon hinlegte.
DIE SCHÜTZEN HATTEN AN JENEM TAG AUCH DANEBENGETROFFEN? ja hallo! DIES EINEN TAG VOR TELLS GESCHOSS! DIE STIMMUNG WAR IM KELLER: wieder keine Medaille! Dabei waren alle Schiesser vorher total im Schuss gewesen? vor allem aber die Reporter. Diese brezelten eh jede Hoffnung mit euphorisch-verbaler Doppelhefe auf. Sie redeten jeden und alles hoch. Sie säten Hoffnung wie Maurers Jüngster den Hanf.
Das Ende vom Lied: Alles sackt in sich zusammen? ähnlich dem Spinatsoufflé, das aus dem Ofen direkt in den Herbstwind kommt.
Martha haderte mit diesen schweizerischen Fernsehfritzen.
Immer wieder hiess es, man müsse beim Fernsehen sparen. Deshalb sei das Zürcher Programm so dürftig. Aber für diese zwei Sportwochen wurden doch tatsächlich 17 Millionen aufgeworfen.
RAUSGEWORFEN!
(Wie viele Male hätte man für dieses Geld «Sissi» laufen lassen können).
Klar mussten die Sprecher nun so tun, als sei der grosse Sportzauber auch für unser kleines Land eine riesige Sache.
«Ich erwarte sieben Medaillen», hatte ein Verantwortlicher gesagt.
Martha aber erwartete, dass bald wieder Ruhe einkehren würde... dass ihr Michel endlich die Klospülung flicke... UND DASS DAS NACHTESSEN WIEDER AM KÜCHENTISCH SERVIERT WERDEN KANN!
«Mammi, kannst du ein Bier...» rief es wieder.
«IHR KÖNNT MICH MAL!», rief Mammi zurück.
Dann knallte die Türe.
Für eine halbe Sekunde schauten die beiden Männer auf: «Was hat sie nur?»
Aus der Kiste jubelte eine Stimme: «DAS SCHWEIZERBOOT HAT ES IN DEN HOFFNUNGSLAUF GESCHAFFT!»
«WOWWW!», freute sich Michel.

Montag, 6. August 2012