Mango-Bar

Als Liu ihn zum ersten Mal sah, kam sie kichernd auf Rolf zu: «Schweiz Mann wollen fickfick.»
Er wollte.
DESWEGEN WAREN SIE SCHLIESSLICH ALLE HIER.
Der Ort: eine kleine, dunkle Bar in Patong auf Phuket. Die Situation: der Appenzeller Kegelclub «Die lustigen 9!» lässt seine Kugeln rollen. Diesmal nicht, um zu kegeln.
Nachdem das Kulturprogramm am Nachmittag mit einem Ausflug zum nahen Buddha-Tempel eher mager besucht war (2 von 9), hatte der nächtliche Ausflug in die Mango-Bar alle Neune buchen können.
Nun also: fickfick.
Am andern Tag erschien Rolf mit Liu am Strand. Die Kollegen gaben sich etwas gedämpft. Immerhin war Rolf verheiratet. Noch.
Liu blieb an Rolfs Seite, bis die «lustigen 9» wieder heim flogen. Drei Monate später kam er wieder.
Alleine. Er hatte die Scheidung eingereicht. Nach 38 Jahre Ehe wurde das ein teurer Spass. Aber Rolf wars egal. Liu hatte ihm gezeigt, wie man sexuell die Zimbeln zum Klingeln bringt. Mit Emma wars stets nur Missionarsstellung oder «HEUTE NICHT? ICH HATTE GROSSE WÄSCHE» gewesen.
Rolf ging in Frührente. Legte die Altersversorgung in Papiere an. Und bezog in Patong eine Dach­wohnung. Die war relativ teuer. Wie Liu auch.
Sie zog zu ihm. Die Unterhaltung beschränkte sich auf «Mango-Reis gut gut» und «Rolf will fickfick?»
Zwei Mal unternahmen sie eine Reise in die Schweiz. In Herisau ging man den beiden aus dem Weg. Den Kegelclub gabs eh nicht mehr. Die damalige Thailand-Reise hatte alle Neune ins Schleudern gebracht.
Drei davon waren nun zum Männerchor gewechselt (2 x Tenor, 1 x Bass)? die andern fünf turnten im neuen Trimmsalon mit Stahlgewichten herum. Es war nicht die Mango-Bar? aber das Resultat war ähnlich: Schwitzen. Duschen. Danke? bis zum nächsten Mal...
Als Bankprokurist Klämmerli Rolf schrieb, leider seien alle Papiere im Keller, begann die Katastrophe. Als Schweizer war er in Patong ganz oben? nicht nur im Wohnblock. Auch in der Hierarchie der Ausländer, die hier auf Phuket ihren Lebensabend verbrachten. Nun musste er drei Stöcke runter in ein billigeres Coach-Studio ziehen. Und Liu das Louis-Vuitton-Täschchen, das sie sich zum Geburtstag wünschte, ausreden.
Die Beziehung zu Liu war eh kühler geworden. Sie servierte ihm nur noch drei Mal pro Woche «Mango-Reis gut gut». Und «fickfick» war eh passé, seit er diese verdammten Pillen gegen den hohen Blutdruck schlucken musste.
Als ihn ein Brief vom Appenzeller Betreibungsamt erreichte, weil er Emma seit anderthalb Jahren den Unterhalt schuldete, ging er auf den Balkon. Und sprang. Gottlob war die Wohnung immer noch hoch genug? und der Absturz somit tief.
Liu rief schreiend die Polizei. Sie räumten Rolf zusammen. Äscherten ihn ein. Und schickten ihn in einer Blechschachtel nach Appenzell.
Dort wollte ihn keiner.
Er kam in den Estrich der Herisauer Verwaltung, bis diese in einen Neubau umzog. Rolf wurde zusammen mit drei Tonnen verjährten Akten entsorgt.
In Patong ging Liu in die Mango-Bar zurück.
Als der Toggenburger Hornusser-Verein eintrudelte, wippte sie kichernd auf den ältesten ­Hornusser zu: «Schweiz Mann wollen fickfick?»
JA HALLO? WOZU SONST WAR MAN HIER?
Am andern Tag erschien er mit Liu am Strand.

Montag, 22. Oktober 2012