Herzschwäche

Udo nervte. Dies vollfett! 40 Jahre lang hatte er als Buchhalter in einer Dosenfabrik gewirkt. Seit er in Pension ging und nun im privaten Haushalt den Chef rauskehrte, hatte Olga Stress. NUR STRESS.
Schon in den ersten Wochen hatte Udo alles auf den Kopf gestellt. REORGANISIERT? wie er es nannte.
Und: «HALLOHALLO! HÖCHSTE ZEIT, DASS DA EINER MAL ÜBER DIE BÜCHER GEHT...»? so gab er beim Frühstück den neusten Tarif durch. Er sprach von optimalem Nutzungseffekt des Staubsaugers.
Von der unhygienischen Art, wie Olga mit der Aufbewahrung ihrer Zahnbürste Bakterien züchten würde. Kurz: Er redete Schwachsinn.
Und sie kapierte, weshalb man ihm die Frühpensionierung wärmstens ans Herz gelegt hatte.
Olga steckte sich frustriert eine Zigarette an. Er zupfte sie ihr aus dem Mund: «UND AUCH DAS WIRD KÜNFTIG ANDERS? WIR HABEN EINEN BALKON FÜR SÜCHTIGE!»
«Dieses Arschloch hast du nun bis ins Grab», sagte sie zu sich; paffte den Frust in den kalten Morgen.
Nun auf dem Balkon. Bei acht Grad Morgentau.
Sie weinte sich bei Trude aus. Trude war ihre beste Freundin. Unverheiratet. Deshalb beneidenswert.
Allerdings hielt sich Trude einen Freund, den sie «Muggelchen» nannte.
Olga kannte Muggelchen nicht. Sie wusste nur: MUGGELCHEN WAR VERHEIRATET. Wieder beneidenswert. Solche konnte man nach dem sexuellen Sport einfach wieder abservieren? heim zu Mutti schicken.
«Am schlimmsten ist es, seit er mit diesem Kochkurs angefangen hat...», jammerte Olga nun.
«Er redet mir in alle Saucen rein. Und nichts, was ich serviere, ist o.k. Schon gar nicht, wie ich es serviere. Ich hätte keine Disziplin? so etwas wirft er mir um die Ohren wie früher seinen Dosenvertretern.»
Olga lachte bitter auf: «Du glaubst es nicht? aber er legt unser Zweiergedeck mit Richtschnur und Massstab aus. Genauer: mit meinem alten Zentimeterband aus dem Nähkorb. Jetzt mal ehrlich? ist so etwas noch normal? ICH BRINGE IHN UM!»
«Wie? Was?» Trude schaute interessiert von ihrem Sudoku hoch.
Olga zuckte die Schultern: «Nun, er hat ja diese Herzschwäche, wie ich auch. Wir nehmen beide Herzglykoside zur Stärkung. Und schon Agatha Christie predigt in mehreren Bänden, eine kleine Überdosis Digitalis wirke immer Wunder und Tod.
Überdies kann so etwas nie nachgewiesen werden... der perfekte Mord also!»
«Na dann», sagte Trude.
«Ja? Digitalis in die Bratensauce! Im Kartoffelstocksee.
Den schluckt er mir, ohne zu murren...»
Als dann Olga den Teller mit dem Kartoffelstock, in den sie ein Loch gelöffelt und dieses mit digitalisch gewürzter Sauce aufgegossen hatte, servierte, knurrte Udo mies gelaunt: «Du hast die Servietten vergessen, Olgi. Alles eine Disziplinfrage.
Mach dir doch einen logistischen Einsatzplan... und wenn du schon in die Küche gehst, bringe noch etwas Muskat mit. Aber frisch abgerieben. Dein Stock ist nur mit frischem Muskat geniessbar...»
Sie schwirrte ab. Und er schaute mit gerunzelter Stirn auf seinen Teller. Klar. Die Sauce war wieder einmal verschüttet. Sie zeigte unschöne, braune Flecken am Tellerrand. Ihr Teller aber war makellos.
«Ich hasse unsauber angerichtetes Essen...», bruddelte Udo. Tauschte die beiden Teller aus.
Und meinte eine Woche später, als er Rosen aufs Grab seiner Frau warf: «Ach Trude. Du kanntest sie ja. Sie hatte ein schwaches, aber zu stürmisches Herz... keine Disziplin halt...»
«Ja, Muggelchen», sagte Trude.

Montag, 23. April 2012