First class...

Irgend so ein Werbegeier hat mal den Spruch DER KLUGE REIST IM ZUGE gewürfelt. Okay. Der Werbefuzzi muss ein Zugvogel gewesen sein. Das Beste am Zugfahren ist nämlich der Slogan. Und die Vorfreude. «Ihr abgehalfterten Steuerrad-Cowboys auf der überfüllten Asphalt-Prärie könnt mich jetzt alle mal kreuzweise... MIT ZUG GEHTS ZÜGIGER (danke, der Spruch ist von mir und kann ohne Gewähr gebongt werden).
Es ging um die Strecke München?Bayreuth. Meine beiden Freunde Adrian und Markus, die beide schon mit dem Mercedes-Label auf die Welt gekommen sind, gaben mir den gut gemeinten Rat: «Es ist eine öde Autostrecke. Sterbenslangweilig. Und wo du dann noch sechs Stunden Parsifal vor dir hast? das ist Martyrium genug.»
Daraufhin habe ich mich im Münchner Hauptbahnhof an einem dieser unzähligen FAHRKARTEN-AUSKUNFT-Schalter angestellt. Und musste miterleben, wie sich die achte Frau vor mir auf den Boden warf, mit den Fäusten auf die Marmorplatten hämmerte und immer wieder schrie: «... aber ich fahre doch nur zweite Klasse, ich fahre doch nur zweite Klasse!»
ALSO DAS TUE ICH NICHT! Und dies obwohl mir eine der reichsten Baslerinnen einmal mit Nasenrümpfen erklärt hat: «Nur Zuhälter und Vollidioten bezahlen das Dreifache, um mit demselben Zug am selben Ort anzukommen wie für einen Drittel des Preises...»
Auch Innocent gibt sich pikiert, weil ich auf «erste Klasse» und «Luxus-Suiten» bestehe. Er sieht darin einen unbewältigten Minderwertigkeitskomplex desjenigen, der Salat, Suppe und Aprikosenkompott aus demselben Teller löffeln musste. ABER ICH LEBE GANZ GUT MIT MEINEM FIRST-CLASS-HANDICAP? es sind immer wieder die andern, die sich damit schwertun.
Endlich habe ich Vollfahrt auf den Schalter. «Bayreuth retour, erster Klasse, bitte.»
Die Dame lächelt so falsch wie ihre Zähne. Ihre Finger befragen den Computer. Dann schleimt sie mich an: «215 Euro und 25 Cents!» NUN GUT. AUCH WENN ICH ERSTER KLASSE FAHRE, HEISST DAS NOCH LANGE NICHT, DASS ICH BLÖD BIN. Deshalb: «Könnte man es ein klein bisschen günstiger machen?»
Fahrscheinbeamtin: «Sind Sie in Begleitung von vier Erwachsenen und einem Hund?»? Ich: «Nein.»? Fahrscheinbeamtin: «Haben Sie Rente?»? Ich: «Nein.»? Fahrscheinbeamtin (nun leicht genervt): «Beziehen Sie Hartz IV, irgendeine Art von Unfallszuschuss oder Kindergeld?»? Ich: «Nein.» Dann brüllt die Frau los: «Ja, was wollen Sie denn NOCH?? ES MACHT 215 EUROS UND 25 CENTS!» Da habe ich die Frau begriffen, die vorhin auf den steinernen Boden eingehauen hat.
Nun gut. Ich kanns ja nicht mitnehmen, und das letzte Hemd hat keine Taschen, wie der Volksmund so sagt. Also liess ich mich schon gar nicht mehr auf Diskussionen ein.
Eiskalt schob ich die Euros auf den Drehteller. Und wartete auf diesen Zug, den sie ICE nennen. Der mir aber deutlich zeigte, was er vom First-Class-Menschen hält: Er hatte 14 Waggons für die Irdischen der zweiten Klasse angehängt. Und nur einen halben für diejenigen mit dem Dreifachtarif.
Kommt dazu: 14 Waggons waren auf der Strecke München?Bayreuth klimatisiert. EIN HALBER WAGGON NICHT.
Dreimal dürfen Sie jetzt raten, wer in seinem Bayreuther-Debüt-Smoking schon nach zehn Minuten aussah wie ein dreimal durchgekautes Schwarzwäldertörtchen?
Endlich zeigte sich der Schaffner. Es war einer der bayrisch-heitern Sorte, die immer einen Moment deftige Knödelgemütlichkeit und hirschlederne Trachtenhosengaudi draufhaben:
«Au mai? da drünn hescht ja e-n-Affenhitzi...»? «Ja», sage ich, «tun Sie etwas dagegen, guter Mann.»
Theatralisch nimmt er die «Bild»-Zeitung, die gratis und mit dem neusten Party-Luder als Nacktmodell für die Dreifachbezahler aufliegt? damit wedelt er mir nun Kühlung zu: «Iss recht so?», grinst er. Und schüttelt dann schelmisch seinen Lyoner-dicken Zeigefinger. «Aber net das nackige Maderl anschaun? sonst wirds ana no haisser!» BINGO. DIESE WITZRÜBE HABE ICH NUN BIS NÜRNBERG AN MEINER SEITE.
Vielleicht sollten die Werber einen neuen Schach-Zug für die Eisenbahn lancieren: «DER WITZ FÄHRT ERSTER KLASSE!»

Montag, 16. August 2010