Die Schoggiseite

Schoggicreme von Stalden - die Büchse hat Hochstapler-Potenzial wie keine andere

Rezept: Crème glacée von Patrick Zimmermann

Sie ist über 100 Jahre alt und prägt die Kindheitserinnerungen vieler Generationen. Stalden-Schoggicreme erfüllt sämtliche Voraussetzungen für erfolgreichen Etikettenschwindel.

Schokolade war das Höchste. Gleich nach Weihnachten. Allerdings gabs in den 50er Jahren nur wenig Schokogefühle für Kinder. Dafür viele Kriegserinnerungen. Schokolade war damals absolut nicht aufzutreiben.
Zwar wurde den Soldaten mit «Militärschoggi» der Dienst am Vaterland versüsst. Aber diese Schoggi sei auch nicht das Wahre gewesen, erzählte Vater jeweils beim Sonntagsdessert.
Und Mutter ergänzte: «Die meisten Militaristen haben die Schokoladentafel ohnehin bei den Serviertöchtern für ein paar süsse Momente eingetauscht!» So weit die Schokoladenseite des Krieges.
Uns Kindern war Schokolade aus gesundheitlichen Gründen streng verboten. Nur mit dem eigenen Taschengeld kamen wir zu den Luxus-Momenten eines Cailler-Branchlis. Oder gar zu einer ganzen Tafelseligkeit. Ausnahme waren: Santiglaus (er brachte im Sack diese in Stanniol gepackten Schokotaler, die auch heute noch zur Adventszeit anrollen), Weihnachten (da gabs in blutrotem Glanzpapier verpackte Geschenktafeln) oder Kindergeburtstage. Hier war das Schoggispiel das Millionen-Bingo von heute.
Eine Tafel Schokolade wurde in etliche Lagen Packpapier verschnürt. Nun musste man würfeln. Wer eine 6 würfelte, durfte so lange mit Messer und Gabel das Paket aufschnüren, bis der Nächste die 6 hatte. Wer an die Schokolade kam, durfte dann mit Messer und Gabel so lange davon essen, bis wieder einer einen Sechser hinwürfelte...

Die Tradition. Zum Kindergeburtstag gehörte dann auch die «Schoggi-Creme». Die Büchse von Stalden war Tradition. Und Kinderglück. Später habe ich sie auch an Einladungen auf meinen Dessertbuffets serviert - war immer eine Sensation. Natürlich war die Büchse entfernt und der Inhalt der Creme mit etwas geschlagenem Rahm sowie einer Prise starkem Nescafé verfeinert worden. Alles kam in eine Kristallschüssel. Und alle fanden (und finden auch heute noch) die Creme einfach einzigartig. Jeder will das Rezept - und ich lüge ihnen das Braune aus der Dose herunter, schwindle etwas von aufgelöster 75 prozentiger Starkbitterschokolade zusammen. Und von Kardamom (drei Stück gemahlen) und etwas zerriebenem Pfeffer, wie es die Azteken einst serviert haben.
Aber die Wirklichkeit ist: Büchsenöffner. Und Stalden. Meine Mutter, die in den revolutionären 60er Jahren viele Einladungen gegeben hat, war die Lehrmeisterin für die Küchentricks der Moderne. Nie hätte sie die Stalden-Schokoaldencreme serviert, ohne ganz zufällig ein bisschen Stanniolpapier und eine angebrochene Tafel Crémant in der Nähe der Cremeschüssel rumliegen zu lassen.

Das Geheimnis. Der Basler Modeschöpfer Fred Spillmann, der wohl grösste Trickser in der Küche der 50er bis 80er Jahre, ging sogar noch einen Schritt weiter - er servierte die Creme mit einigen Tropfen geschmolzener Bitterschokolade: «Natürlich könnte ich meinen Konditoren sagen, sie sollen uns eine Schoggicreme zubereiten», erklärte er den nächsten Freunden, «aber es geht eben nichts über dieses einzigartige Stalden-Aroma. Weiss der Teufel, was die da hineinmixen...» Fragt man die Verantwortlichen in Konolfingen, so zucken die nur die Achseln: «Wir brauchen Schokoladenpulver - und zwar 16 Prozent. 76 Prozent sind Vollmilch...» Es bleiben nach Adams Schokoriese acht Prozente übrig. Und in diesen acht Prozent steckt vermutlich das Geheimnis dieser Creme, die bereits vor 102 Jahren die Süssmäuler dieser Welt begeistert hat. Damals wars noch die BAC (die Berner Alpenmilch-Chocolade) mit der unverwechselbaren roten Bären-Etikette (die zur Bärenmarke wurde), welche im Bernbiet die erste Schokoladencreme der Welt in Büchsen herstellte.

Der Aufschwung. Allerdings: Der Verkauf des Büchsendesserts blieb lange Zeit unter allen Erwartungen. Schwierigkeiten machte zu Beginn der Produktion eine griesige Konsistenz der Masse, die erst durch langes Schütteln eliminiert werden konnte. Immerhin, in den 40er Jahren kam der Aufschwung. Nach dem Krieg wurde die Stalden-Schokoladencreme zum grossen «Quick-Dessert-Hit» Helvetiens. Und obwohl die berühmten Dosen seit 1971 zum Nestlé-Konzern gehören, reden auch heute noch alle von der «Stalden-Crème». Wie vor 102 Jahren wird die Köstlichkeit in Konolfingen hergestellt. Der Inhalt wird in eine 470-Gramm-Dose abgefüllt - und 13 Tonnen davon werden auch in die Nachbarländer Österreich und Deutschland exportiert. Die Schweizer aber löffeln jährlich 450 000 Büchsen von der berühmten Creme - es scheint, dass Stalden die Schokoladenseite des helvetischen Quick-Desserts geblieben ist.

DIE AUSNAHME. Patrick Zimmermann (39), Chef-Cuisinier im Restaurant Bruderholz in Basel, ist ein Meister seines Fachs. Seit ein paar Jahren gehört er zu den höchstdotierten Köchen der Schweiz. Patrick Zimmermann ist verheiratet und Vater von zwei Kindern - er lebt im Elsass, und seine Meinung über Convenience-Food ist klar: «Sie passt in eine schnelllebige Gesellschaft. Für Kochen wird kaum mehr Zeit aufgewendet - darunter leidet nicht nur die Esskultur, sondern auch die vernünftige Ernährung. Bei uns im?Stucki? wird ausschliesslich mit Frischprodukten gearbeitet.»

Crème glacée von Patrick Zimmermann

Für «cuisine cruelle» macht Sternekoch Zimmermann eine Ausnahme. Und büchst für ein Glace-Rezept die Stalden-Schoggicreme auf. Das Resultat kann sich schmecken lassen - hier das Rezept:

Zutaten: 1 Büchse Stalden-Schokoladencreme, 50 g Zucker, feine Zesten einer sehr reifen Zitrone, 2 dl Vollrahm, Grand-Marnier.

Zubereitung: Den Vollrahm mit einem Schwingbesen unter die Schokoladencreme verarbeiten - mit dem Zucker und den Zitronenzesten parfümieren. In der Eismaschine zu Glace verarbeiten - oder die Masse in einem Topf in den Tiefkühler stellen und alle 6 Minuten die Schokomasse gut untereinander mischen, bis sie zur Glace gefroren ist. Zwei Glace-Kugeln abstechen - und auf einem weissen Teller ausgarniert und mit einem Suppenlöffel voll Grand-Marnier parfümiert servieren. Bon appétit.

Rezeptkategorie: 
Freitag, 29. April 2005