Von Buchteln bei den Hawelkas und Peter Alexander

Illustration: Rebekka Heeb

«I geh mit dem Herrn Doktor noch Würstel aikaufen…»

Fräulein Henriette zieht meinen Innocent – MEINEN INNOCENT! – wie einen lahmen Dackel neben sich her.

Es musste ja so kommen: Fräulein Henriette hat sich total in Innocent verschossen. Er ist ihr Traum-Bachelor. Und sie ihm scheissegal.

ABER SIE HAT SCHNAPS IM HAUS. DA LODERN INNOCENTS BESTECHLICHE HIRNZELLEN WIE FEGFEUERFLAMMEN.

Henriette spielt für ihn Mozart und Bach. Er schnarcht dazu. Nur beim leisen Blubbern von Marillenschnaps ist er sofort hellwach: «So wunderschön … diese Klavier-Komposition von Schubert und…»

«MOZART!»

«Bitte wo?»

ES WOR MOZART! DEN SCHUBI SPÜÜL Y NET.»

«AHA – ich könnte noch ein Gläslein vertragen, schöne Henriette.»

Er muss die halbe Flasche intus haben. Denn schön ist Henriette nur im Grab.

«Och Innocent, mai süsser Dockel.»

Die alte Piano-Schlampe will ihn nicht nüchtern abfüllen. Deshalb die Wurst. Aber Wurst ist nicht im Haus. Und so nimmt sie den Alten an die Leine.

Ein gnädiges Nicken zu mir: «Mer treffen uns bam Bredendick – Sechsschimmelgoss 4. Do gibts aa Buchteln fürs Fettwamperl.»

Buchteln in Wien sind so etwas wie trockene Dampfnudeln mit Zwetschgenmus oder Mohnfüllung im Innenleib.

EIN HEFEGEBÄCK. UND EIN HOCHGENUSS MIT WALZERTAKT.

Die berühmtesten Buchteln gibts im «Hawelka».

Das Café-Haus an der Dorotheengasse ist von Josefine und Leopold Hawelka nach deren Hochzeit in den 30ern eröffnet worden. Klein. Gemütlich. Jugendstil-Umgebung. Und mit einem Kaffee, den der Leopold noch auf dem Holzfeuer zubereitete.

Am Abend duftete das kleine Kaffeehaus gemütlich nach den Buchteln, die Josefine aus dem Ofen zog.

Künstler, Intellektuelle – ja «tout Vienne» traf sich im «Hawelka», um es sich am Hefegebäck gut gehen zu lassen.

DAS WUNDERBARE: Die Buchteln duften heute noch. Auch stets abends. UND DIE GROSSKINDER VON JOSEFINE HABEN DIE ZEIT VON DAMALS IM CAFÉ-HAUS ZURÜCKGELASSEN: Nichts wurde verändert. Nichts durch eine klare Linie entstellt. Alles ist beim Alten geblieben: eine Tonne tagesfrischer Zeitungen… die kleinen runden Tischchen… das Wasserglas zum kleinen Schwarzen. Nun gut – die Espresso-Maschine ist das einzige Zugeständnis an die moderne Zeit . Denn: «Also den Haferlkaffee konnten wir den Gästen net mehr zumuten!»

ABER DIE BUCHTELN SCHON! – DAS REZEPT IST AUCH IN DER DRITTEN GENERATION GEHEIM. UND NIE VERÄNDERT WORDEN!

Buchteln gibts – laut Hauspianistin Fräulein Henriette – also auch an der Sechsschimmelgasse 4.

Die Sechsschimmelgasse liegt nur zwei, drei Hupferl von unserm Haus entfernt. Sie ist – wie die meisten Strassen im 9. Bezirk – vom Jugendstil umrauscht. Doch der Block Nummer 4 sieht eher nüchtern aus. Er passt hierher wie ein Donald’s-Burger aufs Meissen-Porzellan.

Im Schaufenster der Konditorei Bredendick lockt es dann umso barocker: Pralinenberge, Kuchenstückchen – dazwischen runtergesetzte Hasen der österlichen Sorte, weil ja schon bald Pfingsten ist.

UND DANN SEHE ICH IHN: Er grinst mir so spitzbübisch entgegen, wie er mir schon als Kind stets zugelächelt hat.

Damals sass ich im Pyjama am Boden vor seinen gelenkigen Beinen. Er tanzte mit dem WDR -Fernsehballett. Und sang das Lied von den «Salzburger Nockerln». Alles in Schwarz-Weiss. Alles mit viel Schnee im Bild. Und alles unter den bebenden Seufzern der Mutter, Oma und Tante Trude: «GOTT IST DAS EIN MANN – UND WIE DER TANZT!»

Mein Vater, der Schellentramper vom 6er-Tram, nannte ihn einen Wichser. Klar. Er tanzte nur Coiffeurschritt!

Und Onkel Alphonse schrie nach Cornichons: «So viel Süsses macht mir mies!» ABER: «ZSSSCCCHHHT!» – zischten die Damen erbost. Nippten am Eiercognac. Und hatten nasse Hände.

ES WAR DIE ZEIT VON PETER ALEXANDER. UND SEINER SAMSTAGABEND-SCHAU!

Natürlich schmolz ich ganz mit den Damen. Ich liebte diesen Peter, der ja eigentlich Neumayer hiess, wie er mir später einmal in einem Interview verraten hat: «…mein zweiter Vorname war Alexander. Der dritte: Ferdinand. Der vierte: Maxi. Nach dem Tode meines Vaters war aus Peter, Maxi, Ferdinand, Alexander Neumayer PETER ALEXANDER geboren!»

UND DER EINSTIGE MAXI LIEGT JETZT HIER NEBEN BUTTERTORTEN UND EX-OSTERHASEN. Fein gerahmt. Und noch immer mit diesem leisen Lächeln, das schon vor 50 Jahren «servus» sang.

Vergessen sind die Buchteln – vergessen die Klavierlehrerin und ihr Schnaps-Galan.

Ich will nur noch eines: die Geschichte, wie Peter Alexander hier neben den Kuchen kam.

Der Kaffeehausbesitzer lacht: «Der hot doch hier gwohnt – in der ersten Etage mit dem Erker-Fönster … zammen mit saanen Öltern … S IST SEI GEBURTSHAUS!»

O Gott.

Ich habe mir Peter Alexanders Wiege stets neben Sissis Boudoir vorgestellt – Schloss, Kutsche und ein goldenes Scheisshaaferl.

HIER ABER: EIN UNSPEKTAKULÄRER FLACHBAU OHNE KRONE LINKS UND RECHTS.

Ich darf ruhig sagen: Enttäuschung nach Noten!

Immerhin – im Café liegen die alten, abgegriffenen Biografien von Peter dem Grossen herum.

Ich lese, dass er 20-jährig in der englischen Kriegsgefangenschaft die Soldaten unterhalten und die Schauspielschule im Max-Reinhardt-Institut mit Auszeichnung bestanden hat. Die Matur übrigens nicht. Das war auch nicht nötig. Man hatte ihn mit einem Not-Abitur in den Krieg geschickt. Das reichte später für ein Semester Medizinstudium.

«SEI VOTER WOR DER HERR ANTON – A BANKRAT!» zeigt mir nun der Konditor die Foto eines strengen, älteren Herrn.

AHA – DIE LIEBE ZU DEN NOTEN LIEGT IN DER FAMILIE!

«Über 46 Millionen Schlooger-Plotterln hott er verkauft. Die Klassik-Mischpoche wor gonz sauer deswegen. Die wullten doch den Amadeus. Und net den Peter. ABER WENN DER IN DEN 60ER-JOHR IM FERNSEHEN AUFTRETEN IST, HOOBN 38 MILLIONEN ZUEGSCHAUT!»

Gut – ich war auch einer von ihnen.

DIE CAFÉ-TÜRE ÖFFNET SICH. INNOCENT HUMPELT AM ARM VON HENRIETTE INS BUCHTEL-GLÜCK.

«Weisst du wofür dieses Haus berühmt ist?», rufe ich.

Er tätschelt den Arm seiner Begleiterin: «Henriette hat es mir verraten – sie haben den besten Marillenschnaps von Wien!»

Klavierspielerinnen hatten auch immer etwas gegen Maxi Neumayer.

KEIN WUNDER, DASS ER SICH EINEN ANDERN NAMEN ZULEGTE!

Dienstag, 8. Mai 2018