I love you

Der Ballon war nicht rund.

Sondern herzförmig.

Dazu: knallbummsrot. Glitzerfolie. Also funkelnd.

Und: I LOVE YOU leuchtete darauf. In Schnörkelschrift.

Die rote Liebe schwebte zweieinhalb Meter über dem Boden. Gasgefüllt. Ihr Ziel: der Himmel voller Sterne.

Hier war der Himmel die graue Decke des Wiener Flughafengebäudes – voll Neon. Und grellem Licht.

DAS ROTE HERZ MACHTE SICH IN DEM GESCHÄFTIGEN TREIBEN SKURRIL AUS.

Leute jagten am Ballon vorbei. Schauten auf ihr Handy. Oder äugten nach der Ankunftstafel, wo die meisten Flugzeuge «delayed» waren.

Manchmal, wenn eine Putzmaschine vorbeifuhr, zitterte das Ballon-Herz. Es tänzelte erschreckt nach links. Dann nach rechts – UM DANACH WIEDER GANZ NACH OBEN ZU STREBEN. SOWIE DAS GLÜCK IMMER GANZ NACH OBEN STREBT.

Als Louis das Herz sah, blieb er stehen. Und grinste.

Louis ist der Typ, der kein Herz übersieht. Man könnte sagen: Louis ist einer von der herzigen Art.

Jetzt blitzten seine Augen. Er zupfte an der roten Schnur. Und musste an allererste Buben-Jahre denken: Onkel Alfred hatte ihm an der Messe einen Ballon gekauft: Mickey Mouse. Louis war ganz verrückt nach Mickey Mouse.

Alfred hatte ihm den Ballon-Mickey ans Handgelenk gebunden: BUMMEL DURCH DEN RUMMEL.

Bald schon wollte Alfred in der «Harmonie» einen Schnaps kippen. Doch ein schwankender Mickey hoch in der Luft war für einen Beizenbesuch hinderlich. Deshalb: «Willst du Mickey die Freiheit schenken?»

«Ja.»

«Ihn zur Sonne fliegen lassen?»

«Ja.»

«Ins Mickey-Mouse-Sternenland.»

«Ja.»

Er band Mickey von Louis Handgelenk los. Schon sauste der Ballon weg aus diesem irdischen Jammertal …

GESCHREI. DAS KIND WARF SICH MIT FÄUSTEN HÄMMERND AUF DIE PFLASTERSTEINE. So kam es nicht zum Schnaps-Besuch in der «Harmonie».

Sondern zu einem zweiten Ballon. Diesmal: «Daisy Duck» mit Haarschleife.

Louis kaufte also 60 Jahre später den Ballon «I LOVE YOU». Er kostete ein Vermögen. So wie das Unsinnige dieser Welt meistens einen Horrorpreis hat. ER STELLTE SICH VOR DIE BARRIERE, WO DIE PASSAGIERE HERAUSTRATEN.

Überall: Männer, die Plakätchen mit Namen schwenkten. Über ihm: das rote Herz.

Die Frau neben Louis trug eine ziemlich schlappe Rose in den Händen: «Für meine Tochter Greta – sie kommt aus Bruxelles», sagte sie.

Und dann – ein Lachen in den Augen: «Da wird sich Ihre Frau aber freuen – EIN LIEBESHERZ. So etwas hätte ich von meinem Eugen heute noch zugut!»

«EIN MANN», sagte Louis. «EIN MANN … ICH HABE KEINE FRAU … ES IST EIN MANN. 83-JÄHRIG. MIT STOCK. UND ICH HABE DAS HERZ NUR GEKAUFT, WEIL ICH SEIN GENERVTES GESICHT SEHEN WILL …»

«Aha», nickte die Mutter mit der Bruxeller-Tochter einfühlend ...

Die automatische Türe tat sich auf. Und Willfried hatte seinen Auftritt. Er stützte sich auf den Stock mit dem Silberknauf. Dann äugte er nach links. Äugte nach rechts. Entdeckte den Herz-Ballon. Und brummte: «NUR SCHEISSDRECK IM KOPF!»

Immerhin umarmte er Louis. Und knurrte: «Ich will den Preis gar nicht wissen ». Als ob «I LOVE YOU» einen Preis hätte.

Am Flughafenhimmel funkelt jetzt ein rotes Herz. Es ist die Liebe. Und keiner beachtet sie.

Freitag, 6. April 2018