Von der Wiener Süsse und Rebläusen

Illustration: Rebekka Heeb

Wiener sind süss.

Da gibt es gar keine bittere Schweizer Neid-Pille nachzuschieben.

ÖSTERREICHER SIND NUN MAL WIE IHR BACKWERK: SIE GEHEN IM SÜSSEN AUF WIE DIE SALZBURGER NOCKERLN. Und sie sind so zuckrig wie die Mozart-Torte.

Dazu noch der Dreiviertel-Takt. Das galante «Küss dy Hond, meine Gnädigste!». Und immer wieder ein bisschen Sehnsucht nach dem Kaiser.

ABER HALLO – ICH WILL JA KEINE NESTER BESCHMUTZEN: DOCH WAS BRINGEN UNS EIDGENOSSEN DER RÜTLISCHWUR UND DAS GEHEIMNIS EINER URALTEN APPENZELLER KÄSEZUBEREITUNG?

Nichts. Einfach nichts.

In Wien erstickt kein Verkehr in engen Strassen. Es gibt den vom Kaiser gebauten Gürtel, die gute alte Ringbahn sowie die U-Züge – alles rattert im Drei-Minuten-Takt an. ALSO VERKEHRSTECHNISCH LÄUFT DAS HIER WIE FLÜSSIGES KARAMELL.

Dazu kommt dann die Freundlichkeit der Wiener. Die sind ja so was von nett. Die Männer: schön und lang, selbst wenn sie Kurz heissen. Die Frauen: süsse Sissis, allerdings mit echten Perlweiss-Zähnen und nicht wie die Kaiserin mit einer sündhaft teuren Prothese aus Meran.

Wenn ich meinen Adelbodner Bauern die Vorzüge der österreichischen Charme-Kombination runtersülze, jaulen ihre windgegerbten Nussknacker-Gesichter wütend auf:

«Das mögen wir nicht. Diese übertriebene Nettigkeit … diese klebrige Süsse… DIESE LEDERÄRSCHE MEINEN DAS ALLES GAR NICHT SO… DIE MACHEN DAS NUR FÜR DEN TOURISMUS…»

Aber ehrlich – wer würde nicht den süssen österreichischen Lederarsch einer säuerlichen Oberländer-Zwetschge vorziehen…

Auch Innocent nörgelt immer am Süssen rum: «Ja. Sie sind nett. Und ja – sie haben diesen Hauch von Kaiserreich und Tafelsilber. Aber mir ist das einfach zu viel. Ich bekomme von all dem Honig Magenbrennen.»

Erfreulicherweise bekommt er das vom Grinzinger Weinberg nicht. Da nickt er dem Kellner anerkennend zu: «Nettes Tröpfchen… Ihr habt beim Keltern wirklich Fortschritte gemacht… bring mir noch ein Fläschlein.»

«Jawohl, Herr General!»

Das hat gesessen. Innocent strahlt: «Die Österreicher sind wirklich nett. Und sie haben das Gespür für Menschen!»

Beim dritten Fläschlein setzt sich dann noch eine Zither-Spielerin an unsern Tisch. Innocent ist hin und weg. Die Frau scheint noch nie etwas von «me too» gehört zu haben. Sie lässt den alten Hallodri ihren Zitter-Vorbau bewundern, sodass dem die künstlichen Kniescheiben glühen.

Gemeinsam singen sie dann das mir wirklich viel zu abgehobene Lied vom kleinen Moser: «I muass im frühern Leben eine Reblaus gwesen sein. Ja, sonst wär die Sehnsucht nicht so gross nach einem Glaserl Wein.»

Die Menschen an den Holztischen im Heurigenlokal summen mit. Sie haben rote, tränende Augen – teils aus Reblaus-Sehnsucht. Teils weil sie einfach schon stockbesoffen sind.

Die dritten Rotäugigen sind japanische Menschen, die ihr Platt-Natel immer an die auch so schon kleingeschlitzten Augen pressen und in Richtung Innocent abdrücken. Im Facebook von Tokio wird mein Freund dann als «typischer Zitherspieler im schönen Grinzing» 3590-mal geliked.

Mein Vater – gotthabihnselig – hat mit der österreichischen Süsse auch nicht sonderlich viel anfangen können. Er war sozialistischer Chauvinist bis in seine helvetischen Knochen. Und als das österreichische Skiwunder Karl Schranz gegen Killy unterlag, lobpreiste er sogar de Gaulle und was da in dessen Umfeld Gutes herangewachsen sei.

ALLES WAR IHM RECHT, WENN ES DEN ÖSTERREICHERN AN DIE EIER GING! SELBST IM HOHEN ALTER NOCH HOCKTE ER BEIM START VON ÖSTERREICHISCHEN SKI-ASSEN MIT GEKREUZTEN FINGERN VOR DEM FERNSEHER UND BRUMMELTE HEXERISCHE VERSCHWÖRUNGEN BEI DEREN FAHRT.

NUR PETER ALEXANDER LIESS ER GELTEN – DENN: «Also der wird doch keinem Weib gefährlich. Dazu ist er der allzu arg süsse Palatschinken-Mutti-Typ!» Beim dritten Fläschlein in Grinzing kommen die sanft-süssen Menschen dann auch schon mal ins gesalzene Politisieren.

«Schweizer saans? – Och hobt Ihrs guat!», seufzen die angetrunkenen Männlein. Sie nehmen unsere Hand in die ihre. Und wir müssen ihnen hinein versprechen, nie der EU beizutreten: «Y soggs wies is – vorher wor d Welt in Österreich in Ordnung und…»

Ich werde jetzt doch leicht säuerlich. NICHT WEIL ICH DEN EU-BEITRITT WILL. SONDERN: WAS SOLLTE IN ÖSTERREICH DENN N I C H T IN ORDNUNG SEIN?

«Ja hoobens d Ausländer ringsumi net gsehn?» – schlägt nun einer im Tiroler-Hut und Jagdanzug die Faust auf den Tisch, sodass die Käsenockerl aus dem Teller hüpfen. «Mer saan ja kaum noch uns selbar!»

Nun reagiere ich doch leicht gereizt: «IST DAS ETWA EIN GRUND, DIE GRENZEN ZU SCHLIESSEN? Kommen Sie nach Sizilien, da wissen die Menschen gar nicht mehr, wo sie die armen Flüchtlinge unterbringen sollen. Ganz Europa lässt Italien im Stich … ALSO WAS SOLL HIER DAS GEJAMMER?!»

Peng!

Innocent hat mir einen Kick ans Schienbein gegeben: «Mach hier keine Politik – wir sind neutrale Schweizer.»

DIE ZITHER-SPIELERIN SCHAUT IHN STRAFEND AN: «Es ist verdammt einfach, sich immer rauszuhalten.»

Dann lächelt sie: «Ich bin auch Ausländerin. Ich komme aus dem Kosovo. Und ich habe gelernt, mich der Süsse hier anzupassen – so gibt es keine Probleme! Wollen wir noch a Flascherl?»

«Ihr Wunsch sei mir Befehl, sie zithrige Süsse», sülzt Innocent drauflos.

Ich schaue mich um. Und sehe diese Art von Zucker, die bei uns unter «kalorienfrei» und «künstlich» verkauft wird.

EIN HERMESETAS-ÖSTERREICH?

Ich verzichte auf die Vanille-Krapfen, die da süss aufgetürmt von den Platten locken.

Mir ist plötzlich nach Saurem.

Innocent und die Zither-Spielerin aus dem Kosovo prosten einander zu – GEMEINSAM SINGEN DIE ZWEI: «…drum hab den Gumpoldskirchner ich von Herzen gern, Und wenn i stirb, bitteschön, möchte ich a Reblaus wieda wern…»

ALSO WENN DAS KEINE ECHTE ZUCKERBOMBE ZUM FINALE IST!

Dienstag, 27. März 2018