Halleluja für Kurt

Amanda schaute aus dem Fenster. Dann lächelte sie: «Sie sind wieder da, Kurt!»

«Mhhmmmm» – war die Antwort. Kurt war nicht der grosse Konversationstyp. IM GEGENTEIL. Selbst Fische waren eloquenter.

Kurt hatte sich nach dem Frühstück in die Börsenkurse vertieft. Und nur einmal «leck mich doch!» vor sich her gebruddelt. Nun gut – Kurt war überhaupt nicht der Mann, den man/frau hätte heiraten sollen. Aber Amanda fand, er habe etwas geheimnisvoll Rührendes, etwas Wunderbares, das man in ihm wecken müsse …

Sie glaubte an ihre Weckkunst. Aber das Geheimnisvolle pennte stur vor sich hin. Und hatte nie einen wachen Moment. So blieb die Ehe kinderlos. Und Amanda konzentrierte sich auf die Tauben vor dem Haus.

Die beiden Tauben auf der alten Teppichstange schnäbelten nun. Sie drückten die Köpfchen aneinander. Dies an einem frostigen Januartag. MERKE: FÜR TAUBEN IST IMMER MAI.

«Sie verscheissen wieder den ganzen Sitzplatz», hob nun Kurt verärgert den Kopf. «Es sind die Ratten der Lüfte!»

Amanda lächelte noch immer leicht weggetreten: «Sie sollen sehr treu sein …Glaubst du das, Kurt?!» Er bellte gereizt: «Die heutige Welt kennt keine Treue, Amanda …DA WIRD TIERISCH RUMGEVÖGELT. UND ICH KANN MIR NICHT VORSTELLEN, DASS TAUBEN HIER EINE AUSNAHME MACHEN!»

Noch immer das verträumte Lächeln: «Aber dieses Pärchen hier kommt schon seit drei Jahren. Immer zu zweit. Immer verliebt …»

«TRÄUM WEITER!» – Kurt schaute nun seine Gattin scharf an: «Ich will diese Scheissvögel nicht mehr auf unserm Sitzplatz. Es ist einfach unhygienisch. Sie schleppen Viren ein. Und dann bist du mause wegen einer Taube!»

«ACH KURT!» – sie schaute nun traurig aus dem Fenster.

Im alten Waschhaus hatte sie Gift gefunden. Das hatte Kurt unter Maiskörner mischen wollen. Sie hatte das Gift dann heimlich gegen Puderzucker umgetauscht. DAS RESULTAT WURDE EIN BISSCHEN KLEBRIG – ABER DIE ARMEN VÖGEL ÜBERLEBTEN. WENN AUCH MIT STARKER TAUBENDIABETES.

Es war dann ausgerechnet der Puderzucker, der Kurt zum Verhängnis wurde.

Amanda war für drei Tage zu ihrer Mutter nach Interlaken gereist. Kurt hockte alleine im Haus. Und briet sich Pfannkuchen. Er war ganz heiss auf Omeletten. Doch Amanda backte ihm nur selten eine Portion («die ganze Küche stinkt danach, Kurt!»).

Obwohl Kurt ein arger Stimmungskiller war und 24 Stunden am Tag rollmopssäuerlich durchs Leben ging, liebte er das Süsse. Vermutlich war das seine Art von Kompensation. Jedenfalls pulverte er die Pfannkuchen fingerdick mit Staubzucker voll.

DOCH WIE WIR ALLE WISSEN: ES WAR KEIN STAUBZUCKER. ES WAR DAS HALALI FÜR DIE TAUBEN. Jetzt wurde es zum Halleluja für Kurt.

Als Amanda von Interlaken nach Hause kam, lag Kurt am Boden. Neben ihm ein Konfitürenglas. Da ihm der Puderzucker zu wenig süss war, knallte er noch vom Quittengelee nach.

ER RÖCHELTE LEISE. AMANDA ALARMIERTE DEN ARZT. ALS DIESER AUFTAUCHTE, WAR KURT BEREITS IN EINER FÜR IHN HOFFENTLICH FRÖHLICHEREN WELT. Dies ganz ohne Tauben-Viren. Sondern nur dank Puderzucker (aber ihr wisst ja …).

ES WURDE EINE SCHÖNE BEERDIGUNG. Der Pfarrer log Rührendes zusammen. Und auf dem Heimweg kaufte Amanda Maiskörner für die Vögel.

FÜNF TAGE SPÄTER KAM NUR NOCH EINE TAUBE AUF DIE TEPPICHSTANGE. Amanda entdeckte die andere im Strassengraben. EXITUS. VERMUTLICH WAR DAS EWIGE GURREN EINER KATZE AUF DEN WECKER GEGANGEN. Die übrig gebliebene Taube schaute von der Stange etwas verloren nach links. Dann nach rechts.

AMANDA WEINTE.

Um Kurt hatte sie nicht geweint.

Freitag, 12. Januar 2018