Vom halben Hammel und keiner Sissi

Illustration: Rebekka Heeb

Weihnachtstage rum.

Na ja – das Übliche: am 24. Füsse auf dem Rauchtischchen. Und die Sissi-DVD.

Ich sehe das Schloss der Kaiserin. Und ich sehe unsere IKEA-Pracht.

JETZT BEGREIFE ICH, WESHALB DIE SCHWEDEN NACH WEIHNACHTEN DIE TANNEN AUS DEM FENSTER WERFEN!

Weshalb können wir nicht Sissi sein? Mit Pappilein, Mammi und einem Diener, der zwar nicht der hellste, aber treuer als ein Bernhardiner ist.

BEI UNS: EINE CHINESISCHE DUFTKERZE, DIE «FESTLICHES TANNENPARFÜM» VERSPRICHT. SIE STINKT ABER WIE EINE ANGEKOKELTE SAU.

Dann Innocents traditionelle Spaghetti, die aber dieses Mal eher in Richtung Suppe gehen, weil ausgerechnet in der sechsten Kochminute diese Schlitzgeige aus Salzburg anrufen musste.

Bis der alte Datterheini die Ohren drin und Liesels Dialekt-Sülze kapiert hatte, waren 20 Minuten rum. Und die Spaghetti dick aufgeschwollen wie Tante Finnis Beine vor dem Todeskampf.

ICH HABE GESCHWIEGEN. ABER IN MIR HAT ALLES GETOBT.

NUN GUT. WEIHNACHTEN IST DAS FEST DER LIEBE: Und deshalb habe ich die Spaghetti (die so stark gesalzen waren wie die Weinpreise in einem Luxusrestaurant) stumm reingezogen. Die Augen zum Himmel verdreht. Und IHM dort stumm zu deuten gegeben, dass es jetzt genug sei.

WAR ES ABER NICHT!

Mitten in der zweiten DVD, also «SISSI 2», gab unser Fernseher den Geist auf. DIES AUSGERECHNET BEI MEINER LIEBLINGSSZENE, WO DAS PAAR VOR DER SCHWEIGENDEN VENEZIANISCHEN MENGE DEN ROTEN TEPPICH ABPARADIERT. UND DIE OMI DAS KLEINE SISSI-TÖCHTERCHEN IN DIE ARME DER MUTTER JAGT: «MAMMMMAAA!»

DIE MENGE TOBT. DAS STUMME WEICHT DEM JUBEL.

Ich bade da immer in Tränen. Und jetzt muss der Film hier aufhören, wo die Stimmung gereizt und die Menge stumm ist.

«WASSISJETZT?» – näselt Innocent.

Mein (zugegeben) sehr unfestliches «JETZT LECK MICH ABER …!» hat ihn aus allen Träumen und Liesels Armen gerissen.

«DER FERNSEHER IST HINÜBER!»

Er gähnt: «Ich versteh eh kein Wort. Die reden alle so undeutlich. Lernen die in der Schauspielschule eigentlich keine scharfen S mehr; DIKTION ist die Würze des Dramas! Heute nuscheln sie nur. Oder sprechen Dialekt, sodass man glauben könnte, es regnet ihnen in den Hals.»

«APROPOS DRAMA: KANNST DU MIR SAGEN, WIE WIR WEIHNACHTEN OHNE FERNSEHER ÜBERSTEHEN SOLLEN?»

Er kann es nicht. Pennt schon wieder eine Runde.

Und ich sitze hier und weine – diesmal nicht wegen «Mammmaaaa!».

Natürlich – so werden Sie mich zurechtweisen wollen – sind das alles Bagatellen, Nichtigkeiten. Besonders wenn man bedenkt, dass Menschen in geflickten Gummibooten über die Meere fliehen. Und junge Leute stundenlang neben einem Hund auf den Strassen knien. Daneben ein verregneter Karton auf dem mit zittriger Schrift geschrieben steht: «WIR HABEN HUNGER!»

Aber die alle haben auch ein Natel. Und darauf TV-Empfang. Hier am Arsch der Welt funktioniert das mit dem Wi-Fi aber nicht.

Was mir da bleibt, sind 283 Agatha-Christie-Bände im Taschenbuchformat. Doch bei denen bin ich mit jeden Mörder auf Du und Du. Die Todesart der Leichen ist mir besser vertraut als der stets wechselnde Code meines Postcheckkontos.

SO MACHEN FESTTAGE KEINE FREUDE.

Immerhin – gute Menschen haben uns auf die dunklen Tage hin harte Anisbrote, schöne Zimtsterne (die nach allem nur nie nach Zimt schmecken) und staubige Mailänderli gebacken. Die mixe ich mir nun in aller Verzweiflung rein. Lege noch vier Scheiben vom Panettone nach. Und weil so viel Süsses nach einer salzigen Abwechslung schreit, säble ich aus Verzweiflung schon mal den Neujahrsschinken an.

INNOCENT SCHNARCHT NOCH IMMER. Manchmal zuckelt er mit den Beinen, wie ein alter Hund, der Gassi gehen muss. Aber ich weiss, dass er von Liesels Weihnachtskugeln träumt – mehr brauche ich hier nicht zu sagen. Er ist aus meiner Weihnachtsfeier ausgestiegen, wie der Fernseher. Und die Sissi vor dem «Mammaaa»-Schrei.

Natürlich ist mir jetzt schlecht. Beinschinken, leicht angeeist aus dem Frigo-Fach, und mehliger Mailänderlistaub sind keine ideale Kombination für die Magensäfte. Dazu der süssliche bayrische Senf, den ich gerne wie die Kondensmilch direkt ab Tube nuggle – DAS IST ZWAR WEIHNACHTEN! Aber nur für niedere Gelüste. Und nicht für meinen Bauch.

Der Ranzen rumpelt entsprechend empört. Sodass selbst Innocent plötzlich wieder unter den Lebenden weilt. Und meckert: «Ja musst du denn an einem heiligen Abend staubsaugen?!»

Am Weihnachtstag kam dann Gianni. Er brachte einen halben Hammel mit. Es war gut gemeint. Aber der Hammelkopf mit seinen panisch aufgerissenen, glasigen Augen und die herunterbaumelnde Milz waren jetzt nicht das, was mich euphorisch stimmen konnte. Ganz abgesehen davon bin ich auf Hammel sensibel.

Auch Innocent knurrt wie ein alter Hofhund: «Bleib mir mit diesem Hammel vom Leibe – als ob ich nicht schon genug durch die Hammel-Gattung gelitten hätte!»

So ist er halt. Immer ein Spässchen. Und dies zu den unpassendsten Momenten, wo er doch weiss, dass ich noch immer unter der SISSI- und «Mammmaaaa!»-Abstinenz leide.

Immerhin – das Wetter ist auch nach den Weihnachtstagen schön. Und wir unternehmen einen Spaziergang zu den beiden Seen bei Orbetello. Dort stehen die Flamingos wie aufgerüschte Lido-Tänzerinnen mit angezogenem Bein im Wasser. Die Vögel tun schrecklich vornehm. SIE ESSEN NUR ROSA KREBSE. UND TRAGEN DIESE PINK-FEDERN WIE DIE STARS IN DEN ALTEN FILMEN AUS DEN ZWANZIGERN.

Die Orbetelloner knipsen auf Teufel komm raus.

Später entdecke ich dann auf Facebook 3267 verschiedene Fotos von den Wasservögeln. Immer mit dem Untertitel «Che meraviglia!».

DIE MENSCHHEIT IST NICHT SEHR FANTASIEVOLL. AUCH IM NEUEN JAHR NICHT.

Mit den Facebook-Fotos wird es wohl auch im neuen Jahr beim Alten bleiben – ähnlich wie mit dem Sandwich-Angebot bei der SBB: immer dasselbe – SCHINKEN, BUTTER, SALATBLATT!

SO ETWAS HÄTTE ES IN DER GUTEN ALTEN SISSI-KUTSCHEN-ZEIT NICHT GEGEBEN! Und auch nicht auf dem Schloss des «Little Lord»!

Nun gut – wir haben den gestrigen Tag irgendwie überstanden. DIES MIT DEN RESTEN AUS DEM ALTJAHR: vier Zentimeter leicht angegammelter Beinschinken, der Hammeleintopf, der (wie Hugo Mozzarella anerkennend nickte) endlich wieder mal so «böggelet», wie man es von einem richtigen Hammel erwarten darf. Und dazu dann «Tschau Sepp», bei dem meine Freundin Maria so schändlich den andern in die Karten schielte, dass sie das neue Jahr mit rot entzündeten Augen beginnen musste.

Innocent kam mit einem Riesenkarton vom Hafen. Er hat dort eine japanische Fernsehkiste erstanden.

Und so habe ich dann auf den Neujahrstag hin doch noch SISSI und den «Mammmaaaa»-Schrei der Kleinen mitbekommen.

Aber ich weinte nicht.

Ohne Heiligabend-Gefühl und Spaghetti ist SISSI nicht dasselbe.

Dienstag, 2. Januar 2018