Der Nigerianer

Max fluchte. Sein «verdammich!» passte nicht zu den Jingle-Bells-Melodien, mit denen die Menschen im Einkaufscenter berieselt wurde.

ABER ES WAR WIRKLICH DER GAU, HIER ETWAS ZU FINDEN! Immer wieder wechselten sie den Standort von Zucker… Geschirrspülmittel… oder Küchenpapier. Mal hier. Mal dort.

BINGO – DA WAR WENIGSTENS DIE ZAHNPASTA!

Max wollte heute noch verreisen. Er konnte mit dem Weihnachtszirkus nichts anfangen. Also buchte er sich über Internet ein Hotelzimmer: SIZILIEN… TAORMINA… ZUM SCHNÄPPCHENPREIS.

Früher hatte er die Familien-Weihnacht genossen: Hilde mit ihrem «Schüfeli auf Bohnen». Der kleine Pascal mit dem Gedicht vor dem Baum. Und die Omi mit ihrem ständigen «aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen!».

ALLES VORBEI – HILDE UND OMI UNTER DEM BODEN – UND PASCAL IN DEN WOLKEN.

Sein Sohn war Sozialhelfer. Und lag ihm wegen seiner SVP-Gedanken in den Ohren. «Ich schäme mich für dich, Vater!», hatte er ihn kürzlich angeschrien. Die Diskussion ging um Sozialgelder für Flüchtlinge. «Du lebst im Speck. Und lässt diejenigen, denen es mies läuft, einfach im Regen stehen!»

Der mit seinem Schreibtisch-Gutmensch-Denken!

Als die Mutter im Spital lag und eine afrikanische Hilfsschwester sich grossartig um sie kümmerte, hatte Pascal das gleich politisch umgemünzt: «Bitte. Was würden wir ohne solche Leute wie sie tun …» MEIN GOTT – DAS WAR DOCH ETWAS GANZ ANDERES!

Na also – hier war auch der Zucker! Ab nach Hause. Der Koffer war gepackt!

Max stützte sich auf den Einkaufswagen (seit drei Jahren wollten die Beine nicht mehr richtig). Er orgelte zur Tiefgarage. Ein Schwarzer wartete bereits. Sie standen jetzt immer hier herum (wie Max bärbeissig am Stammtisch erzählte).

Na ja – bald war Weihnachten: Er drückte dem Mann den Wagen in die Hand. Den Einfränkler sollte er sich dann mit dem ordentlichen Zurückbringen verdienen. Der Bursche in seiner knallroten Windjacke lachte ihn an: «Danke Mister…»

«Immerhin bedankt er sich» – dachte Max. Er war in Gedanken bereits in Sizilien.

DAHEIM MERKTE ER ES DANN: SEIN PORTEMONNAIE WAR WEG! «Dammi!», brüllte er jetzt laut auf. Und dann noch einmal: «DAMMI!»

Max setzte sich an den Küchentisch. Seine Hände zitterten: natürlich steckten alle Kreditkarte drin. Die Postcard. ID, der Krankenkassen-Chip… KATASTROPHE!

Er wollte Pascal anrufen. Und ihm etwas über seine Schützlinge runterhusten, die da alte Rentner ausnahmen.

Aber als Erstes musste er jetzt die Karten sperren lassen. Max wusste Bescheid. Er verpasste kein «Aktenzeichen XY». Nach zwei Stunden war alles erledigt. UND MAX AUCH.

Es schellte. Max schleppte sich an die Türe. Da stand der schwarze Mann vom Einkaufscenter. Und streckte ihm sein Portemonnaie entgegen: «Hallo Mister… Hast vergessen in Einkaufswagen … War mühsam Adresse zu finden … Aber jetzt hier!»

MAX ZITTERTE: «DAMMICH!» Dann bat er den Mann herein: «Also ehrlich…», stammelte er, «…also das glaube ich jetzt nicht…»

Am folgenden Tag rief Max ins Büro von Pascal an. Der ungeduldig: «Wolltest du über Weihnachten nicht abhauen…?»

MAX ZÄHLTE AUF ZEHN. «Ich habe es mir anders überlegt. ‹Heiliger Abend› feiern wir gemeinsam…»

Pascal zögerte: «Lucie und ich wollten eigentlich mit ein paar Sozialhelfern…»

«Na – bring sie einfach mit zu mir. Adewale kocht Suya. Und eine Pfeffersuppe… Wenn wir in diesem verdammten Einkaufscenter endlich die Kokosraspeln finden, backt mein afrikanischer Freund auch noch Kokos-Rollen für alle…»

«PAPA – GEHTS DIR GUT…?»

Durch den Hörer hörte Pascal eine Mikrofon-Stimme: «Frau Müller – bitte Kasse 4».

Dann lachte die Stimme seines Vaters: «Es ging mir nie besser, mein Sohn!»

«PAPA!» Aber da hatte Max auch schon aufgehängt: «Dort Adewale – die Kokosraspeln sind neben der Faltencreme. IST JA WIEDER MAL TYPISCH!»

Freitag, 1. Dezember 2017