Der Pizzakurier

«Eine Pizza Margherita ohne Pfeffer. Und eine Cola light…» Pause. Dann: «Carlo kommt in 15 Minuten – gute Nacht…» Klack. Aufgehängt. Ja – eine frohe Nacht würde sie haben. MIT CARLO. Gestern hatte er ihr eine Überraschung versprochen.

ENDLICH.

Rita war schon ganz flatterig. Seit neun Monaten bestellte sie die «Margherita» beim Pizzakurier. Abend für Abend. Sie warf die Pizza allerdings jedes Mal auf ihren Bio-Kompost im Gärtchen. Die Fliegen machten sich sofort darüber her. (Obwohl sich auch Fliegen etwas mehr Abwechslung im Speiseplan gewünscht hätten.)

ES GING HIER NICHT UM DIE PIZZA. SIE WAR EH MEHR DER NASI-GORENG-TYP. ES GING HIER UM IHREN KURIER. CARLO WAR HEISSER ALS JEDER PIZZAOFEN!

UND RITA STAND IN FLAMMEN.

Ihr erstes Treffen war ein Zufall gewesen. Mizzi kam unerwartet auf einen Sprung vorbei. Die Freundin wollte Rita zu einem Apéro in diese hippe «Balliballa-Bar» entführen. Aber sie vertratschten sich. Und plötzlich war beiden um einen gemütlichen Abend daheim.

Also: ein Glas Primitivo. Und Pizzakurier. «Einmal Margherita. Einmal Quattro stagioni – alles ohne Peperoncino, bitte!»

DANN STAND ER VOR DER TÜRE! Schön wie eine griechische Statue balancierte er die beiden Kartonschachteln: «Frau Müller – ich bin Ihre Bestellung.»

Sein Lächeln liess sie erzittern. Das Feuer in seinen Augen weckte alle Schmetterlinge im Bauch. Rita war erstarrt und kam erst wieder zu sich, als Mizzi aus der Stube rief: «Ich hoffe, es hat keinen Pfeffer drauf …»

Carlo hatte gelächelt: «Beide ohne Pfeffer …» – dann blitzten seine Augen: «Aber schöne Frau – was ist ein Leben ohne Pfeffer?!» Bis jetzt hatte Ritas Leben ungepfeffert dahingedümpelt. Sagen wirs mal so: Der eine ging ihr zu arg ran – der andere war ein Weichei. Der dritte hatte schon vier Kinder – so wurde sie eine pfefferlose Sauergurke.

Mit 45 beschloss Rita das Kapitel «Männer» abzuschliessen. Es war ein Kapitel, dessen Inhalt aus reiner Theorie bestanden hatte. Ein Praktikum hatte es nie gegeben.

UND DANN EBEN CARLO!

Gut. Er hätte ihr Enkel sein können. Wen kümmerts? Sie war hitzig wie ein Pizzaofen. Und sie freute sich täglich auf zehn Minuten Carlo mit Pizzakarton.

Wenn in der Pizzabude nicht allzu viel los war, trank Carlo bei ihr ein Glas Orangensaft. Mit zwölf sei er aus Sizilien in die Schweiz zur Mutter gekommen. In Catania habe ihn die Grossmutter grossgezogen. Aber die Schulter eines Vaters habe ihm stets gefehlt … Rita hatte Tränen in den Augen: «Ach Mizzi – der arme Junge. Das Leben ist grausam …» «Sicher, Rita», lächete Mizzi. Sie war ja nicht blöd.

DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN DER MARGHERITA-KUNDIN UND IHREM KURIER WURDE ENGER. Sie bestellte jetzt ihre Pizza erst kurz vor Mitternacht. Da hatte Carlo Feierabend. Und blieb ein bisschen länger beim Saft. Sie waren beim Du. Und er nahm ihre Hand. «Morgen bringe ich dir eine Überraschung mit…» DER DUMME JUNGE – ER WÜRDE SEIN ERSPARTES IN EINEN VERLOBUNGSRING FÜR SIE INVESTIEREN!

Und heute war also «morgen». Sechs Mal schon hatte sich Rita umgezogen, drei Mal frisch geduscht und immer wieder die Schnell-Liftingcreme aufgetragen. SIE HATTE PLÄNE MIT CARLO – EINE ABENDMATUR WÜRDE IHM NEUE WEGE ÖFFNEN…

Es schellte. Rita atmete tief durch. Öffnete die Türe – NIE HATTE CARLO STRAHLENDER AUSGESEHEN. «Die Überraschung!», flüsterte er. Und rief in den Hausgang: «Arthur – komm, zeig’ dich!»

Ein dicklicher alter Mann mit Halbglatze keuchte die Treppe hoch. «DAS IST MEINE ÜBERRASCHUNG: ARTHUR! WIR WERDEN UNS NÄCHSTEN FREITAG AUF DEM STANDESAMT EINTRAGEN LASSEN…» Ihr wurde schlecht.

«Er ist die väterliche Schulter, die ich stets gesucht habe…», flüsterte Carlo.

DIE PIZZA KAM AUF DEN KOMPOST! Das Thema «Männer» wurde von Rita endgültig abgeschlossen. Noch immer alles ohne Praktikum.

Montag, 23. Oktober 2017