Vom chinesischen Hallstatt und Liesels Gebeinhaus

Illustration: Rebekka Heeb

«MOGST E FESCHS WAIBSBILDERL KENNENLERN?»

Liesel knallt mir den Ellbogen in den Bauch. Und kichert anzüglich. «Das Babserl is a haisse Nummer.»

WESHALB KAPIERT DIESER AUSGEGEILTE SCHLUTZKRAPFEN NICHT, DASS MICH WEIBER NUR SELTEN HEISS MACHEN?!

Sie denkt, jedes Mannsbild vibriere auf 100 Umdrehungen, wenn es Möpse vor dem Schnauzer hat. Und jedes Hosenbein versteife sich beim Anblick aufgeblasener Lippen,über die eine rosige Zunge flattert.

DENKSTE! Bei mir herrscht da tote Hose. Und bei diesem Zungenspiel über die gespritzten Lippen muss ich eh immer an ein schaukelndes Gummiboot denken. NICHT MIT MIR. Deshalb ganz klar und eisig: «Deine Babsi soll der Teufel holen!

Schon fällt mir Innocent, diese fiese Schmeissfliege, in den Rücken: «Ach Lieselchen, hör nicht auf diesen Stimmungskiller – her mit dem süssen Babsilein.»

ICH DENKE IMMER, DER ALTE HÖRE SO SCHLECHT. ER BEKOMME NICHTS MEHR MIT. DIE WETTERPROGNOSEN MUSS ICH IHM VIERMAL NACHHUSTEN. UND DEN «TATORT» IN LAUTSTÄRKE 150 SYNCHRONISIEREN. DOCH KAUM NUSCHELT SO EINE SCHLAMPE ANZÜGLICHES ÜBER EINEN FLOTTEN KÄFER, SCHON IST DER SCHRUMPELMOLCH GANZ OHR UND HEISS WIE FRISCH GEZOGENER ZUCKER.

«Nimm deine Blutdrucktablette und schweig», belle ich in Innocents Richtung.

Aber schon vergräbt er genüsslich seinen borstigen Schnurrbart zwischen Liesels zwei Hochgehievte. Und snieft: «Diese Dreckschleuder ist immer so gemein zu mir – schon ein halbes Jahrhundert lang und …»

«Mai orms Buaberl, da dorf er aber net an den Hallstättersee mitkummn.»

OH HÄTTEN SICH DIESE WORTE DOCH BEWAHRHEITET!

Ich sage nur eines: die Hallstätter wussten ganz genau, weshalb sie keine Strasse zu ihrem malerischen See bauen wollten. Vor 100 Jahren war da noch Idylle pur. Ruhe. Regenbogen. Rosenromantik. Dann kam die Unesco. Stellte alles unter den Schutz des gesamten Weltkulturguts.

SEITHER HERRSCHT HIER DIE GROSSE SAUSE!

Wir fuhren also hin.

Hallstatt ist ein Ort mit 710 Einwohnern. Und 1523 Parkplätzen. Dazu kommen 8345 Mietvelos für Touristen.

Um halb neun Uhr morgens sind alle 1523 Parkplätze weg. Die Velos am Surren. Und die 710 Bewohner stehen in Pracht und Tracht verpackt hinter ihren Souvenirständen. Sie bringen die heimischen Salze in Töpfchen, Eiskasten-Magnete mit Enzianmustern und Teddybären mit Tirolerhütchen an die Touristenströme, die Gässchen wie auch die schmale Seestrasse überfluten.

Überdies gibt es Gartenzwerge im Angebot. Sehr seltsame. Es sind Gnömchen mit Augen, eng wie ein Hemdenknopfschlitz. Es sind Gartenzwerge aus dem Verwaltungsbezirk Boluo. Das Boluo-Quartier liegt in der Stadt Huizhou. Und die wiederum in der chinesischen Provinz Guangdong.

Das Ganze tönt wie ein chinesisches Horoskop, ist aber bittere Wirklichkeit: DIE GUANGDONGER HABEN DAS SALZKAMMERGÜTIGE NEST NACHGEBAUT. UND HALLSTATT ZUM WALLFAHRTSORT DER CHINESEN GEMACHT.

Du musst als europäischer Tourist schon im humorigen Zeichen der chinesischen Sau geboren sein, um so etwas lustig zu finden. Wo du gehst, wo du stehst: ÜBERALL dieses chinesische Lispeln, dazu das unerbittliche Lächeln und Tausende von gezückten iPhones, welche die alten Holzhütten und selbst diesen Bankengräuel aus Stein, der die ganze Ortschaft verschandelt, auf dem Speicherjeton festhalten.

Mit den 10 000 geschossenen Erinnerungen können die Chinesen dann daheim in Guangdong am Stammtisch vor der Frühlingsrolle dick angeben: «Wimmichitschi dii» – WIR WAREN DORT (na ja – sehr frei übersetzt).

Das südchinesische Guangdong hat übrigens etwas mehr als 104 Millionen Einwohner. Es ist eine kleinere Provinz, aber jeder Guangdongler wird schon bei der Geburt mit dem Wunsch beseelt: EINMAL DAS ECHTE HALLSTATT ERLEBEN.

Da dürften 1523 Parkplätze wohl kaum reichen.

«Das Babsilein hot e Schloss überm Wosser», zeigt nun Liesel theatralisch zwischen all den herumwuselnden Chinesen hindurch zum etwas unheimlichen, bleifarbigen Seelein.

Dann hält die Salzburger Baronin ihr Handy mit den funkelnden Swarovski-Steinen ans Ohr: «Maaderl … mer san hier bei den Schwanen!»

Tatsächlich schaukeln vor uns zwei übermenschgrosse Blechschwäne, mit denen man dank Tretmechanik über den See gleiten kann. ZUMINDEST DAS! ICH BIN FEUER UND FLAMME: DER SCHWANENSEE AUF PEDALO-ART …

«Naaa», winkt die Liesel ab, «zuerst gemma ins Beinaus bei der Kirchen. Dort sann die Totenköpf gstopelt wie unser Holz vor der Hütten – über 30 000 Schädel.»

Bei «Holz vor der Hütten» war Innocent natürlich sofort wieder hellwach. Und schaute schmachtend in Richtung Salzburger Prallatschinken. «Ach Lieselchn – wenn ich all diese chinesischen Frauen sehe, flach wie ein Reisfeld, dünn wie Hostien und dann kommt eine wie Du …»

«Aufgefüllt wie ein Heissluftballon», ergänze ich gereizt. Und schon haben wir wieder Drama.

ABER GOTTLOB HAT UNS DAS BABSERL ENTDECKT: «DAA SAAN ALLE.»

«Des ist die Gräfin», stellt uns Liesel die Dame vor. Ach, «Dame» ist vielleicht etwas arg geschönt. Denn schon kreischt das Weib in ihrem Gucci-Zweiteiler und mit einer Stimme wie das Kratzen auf dem Kuchenblech. «Dös stimmt – das Lieserl hott’s nur zer Baronin brocht, y bin a Gräfin …»

Liesels Busen wippt genervt: «Y hob my Orsch holt net so hoch auffi glupft», und schon wollen sich die beiden Freundinnen an die Wäsche gehen, wie der gute Baron Hubert den Vorschlag macht: «Wissts wos – ihr zwa wilder Furien geht ins Gebeinhaus. Bei den toten Schädeln hobt’s euren Frieden. Und wir Monnsbilder mieten den Blechschwan.»

Als wir schliesslich mit dem gigantischen Schwanenpaar übers Wasser pedalen wollten, zeigte sich China noch einmal in Hochform. Beim Steg war ein grässliches Gedränge. Die Holzbrücke brach zusammen. Und 28 Touristen aus Huizhon platschten mit diesem ewigen Lächeln ins Wasser.

Es gab viel Geschrei und noch mehr Videos – Hubertus winkte der Menge vom Schwan aus hoheitsvoll zu. Er ist zwar nur Baron. Aber für die südchinesischen Touristen hatte er in diesem Moment das Königliche eines Ludwigs von Schwanstein.

SO WIRD MEIN HUBERTUS NUN WOHL AUCH BEI DER FRÜHLINGSROLLEN-EINLADUNG IN DEN HÄUSERN VON HUIZHON AUF DEN CHINESISCHEN IPHONES HERUMGEZEIGT: «PIDSCHII WUU – PADSCHI BUUU» (grosser Mann – kleiner Ort – wieder grosszügig übersetzt).

Dienstag, 26. September 2017