Verblasstes Tattoo

«HIMMEL – BIST DU SPIESSIG!» – Ellen schaute ihre Mutter wütend an.

«ALLE HABEN EIN TATTOO ALS LIEBESBEWEIS!»

Annick schrie genervt : «ABER DOCH NICHT AN DIESER INTIMEN STELLE! WAS WILLST DU DEINEM NÄCHSTEN KERL SAGEN, WENN ER DA PLÖTZLICH EINEN FROSCH VOR DEM SCHUSS HAT…?!»

«Es gibt keinen nächsten Kerl. Ich liebe mein ‹Fröschli›!»

Die Grossmutter hatte bis anhin geschwiegen. Nun wandte sie sich an ihre Enkelin: «Muss es denn ein Frosch sein, Ellen? Ich meine, es gibt doch nettere Motive. Ein Herzchen beispielshalber. Oder ein Amor mit Pfeil. Aber ein Frosch assoziiert sofort ein Geschirrspülmittel. Und dicke Oberschenkel…»

«OMA!» – das Teeny-Girl schaute etwas gereizt zur Grossmutter: «WAS WEISST D U DENN SCHON VON TATTOOS?».

Die Oma hüstelte nun etwas verlegen: «Ich hatte auch mal meinen ‹Hämschti›!»

«HÄMSCHTI?» – horchten Mutter und Tochter synchron auf.

«Na ja», seufzte die Oma. Und ihr Blick zeigte diesen seligen Ausdruck, den sie sonst nur noch vor einer Flasche Eiercognac bekam: «Eigentlich hiess er Ernst. Aber er war mein Hamster. Er hatte lustige Backen – und dann diese zwei Vorstehschaufeln. Ich liebte ihn, meinen HÄMSCHTI!»

Und dann?

«Er nannte mich ‹Kätzchen›. Eines Tages erschien er mit einem Mieze-Tattoo am Oberarm: ‹Für dich – Anne-Käthi!›»

Und?

«Ich war im Vollzugszwang. Und liess mir einen Hamster auf die Brust tätowieren…»

Der Enkelin hatte es die Sprache verschlagen. Und die Mutter jammerte: «Also habe ich neben einem Hamster gesaugt?»

«Ja, Liebes», kicherte die Oma – «obwohl der Hamster mit der Zeit aus der Fassung geriet. Wie der Säugungsapparat daneben auch!»

Sie schaute nun seufzend zur Enkelin: «Das ist ja das Schreckliche am Ganzen, Ellen… Die Tattoos halten so wenig wie die Liebe, für die man sich stechen lässt. Sie verblassen parallel zu den Gefühlen. Und verformen sich wie ihre Träger…»

Die alte Frau knöpfte entschlossen die Bluse auf.

«Oma – das muss ich jetzt nicht haben. Ich…»

Aber da war der schwere Busen auch schon hervorgequollen. Er gab den Blick auf eine schreckliche Fratze frei…

«Das ist doch kein Hamster. Das ist ein Seeelefant…», meldete sich nun auch die Mutter wieder zu Wort.

Die Oma überhörte es vornehm.

Und wandte sich an ihre Enkelin: «Kannst du dir vorstellen, wie der Frosch in 70 Jahren aussieht, Ellen? Und dann noch an dieser heiklen Stelle – selbst ein harmloser Pfeil Amors wird zwischen den Falten dann in verschiedene Richtungen zeigen…»

«IHR SEID EINFACH GRÄSSLICH!», jaulte Ellen. Und verliess mit Türenknallen die Wohnung.

Oma und Annick gaben sich «five». Und hielten die Daumen hoch.

Der Busen wurde eingepackt – und eine Flasche Eiercognac geöffnet: «Sie wird es sich überlegen – das haben wir hingekriegt!», freute sich die Oma.

Annick schaute ihre Mutter dann doch etwas beunruhigt an: «Und du bist ganz sicher, dass dein Fun-Tattoo wieder abgeht?»

Sie grinste: «Mir wäre der Gedanke schrecklich, neben einem Seeelefanten genuggelt zu haben…»

Montag, 24. Juli 2017