Glück und Glas

Cathy (Basel) war verliebt. Na ja – das ganze «ich bin ja soooo happy»-Gefühlsbad.

Sven (Zürich) war der Grund aller Gefühle. Und ebenso verknallt in Cathy wie umgekehrt.

DA HATTE(N) ES ZWEI ALSO GUT GETROFFEN!

Die Beziehung startete wie jetzt fast jede Beziehung über ein elektronisches Portal. Das Social-Media-Signet waren zwei verschlungene Hände, die ein Bordeaux-Glas hielten. Die Sache hiess «Glück und Glas». Sie versprach «Partnervermittlung bei einem Glas Wein». Meistens waren die Paare schon heiss vor dem Wein. Das Glas war vermutlich symbolisch gemeint.

WASWEISSICH?! Die Portal-Besucher chatteten sich bald einmal in rosige Euphorie und süssen Zuckerwattenwahnsinn.

«Ich heisse Cathy. Aber Freunde nennen mich ‹Pussy›». Süss.

«Hallo Pussy! Ich bin Sven. Für Insider ‹Schweini›.»

«Sooo geil. Was machst du?»

«BANK!»

«Soooo geil!»

«Können wir heute Abend ein bisschen chatten?...»

«Soooo geil!».

Sie chatteten etwa sechs Wochen. Nun auch tagsüber. Das Chatten wischte per Knopfdruck die Kilometer zwischen ihnen weg. Cathy alias Pussy tippte ihre täglichen Verkäuferinnen-Erlebnisse im Rayon für Herrenunterhosen durch:

«Da hat mich eben wieder einer angemacht... XXL-Typ... aber nur am Bauch, hihi – lol!»

«Bin an der Börse. Und verschachere eben für 40 Kisten Syngenta...»

«Sooo geil!»

Gut. Schweini aus Zürich hatte mit den Börsenkursen nur insofern zu tun, als dass er für die Kaffeeautomaten in der Abteilung «Devisen und Wertpapiere» zuständig war. Und Pussy betrieb das Herrenunterwäsche-Rayon in Basel auch nur virtuell. Sie füllte im Supermarkt die Tiefkühltruhen mit milchig gefrorenen Hühnerschenkeln auf. Aber auf dem Internet-Portal ist die Fake-News-Rate fast so hoch wie in der Politik.

«WANN HAST DU FERIEN?»

«Juli»

«WOLLEN WIR ZUSAMMEN NACH GRIECHENLAND?»

«Soooooo geil!»

Bevor es los ging, schickten sie einander Millionen von SMS.

«ICH BIN EIN NATURMENSCH. LASS UNS IM FREIEN ÜBERNACHTEN...»

«Sooooo geil!»

«WOLLEN WIR UNS VOR DEM ABFLUG NOCH TREFFEN? WIR HABEN EINANDER NIE GESEHEN – NUR PER FACETIME...»

«Soooo geil...»

Als sie im Bahnhofbuffet auf ihn zukam, erkannte er sie sofort an ihrem Lächeln. Das hatte ihn schon auf dem iPhone scharf gemacht – ECHT SÜSS! Auch Cathy strahlte: Schweini sah genau so aus, wie auf seiner persönlichen Bildergalerie von Facebook. Sie gab ihm ein «Daumen nach oben»-Zeichen: «sooooooo geil...»

Sven verschickte galant ein SMS: «CÜPLI ZUR FEIER?» Cathy wuselte über die Tasten: «Soooo geil...»

Eine Stunde später liefen sie stumm nebeneinander her. Es gab nichts mehr zu sms-len. Geschweige denn zu sagen. Schliesslich wollte Pussy ihre E-Mails abrufen. ABER DAS HANDY WAR WEG. GESTOHLEN!

«SO EINE SCHEISSE!» tippte Sven ein. Und bekam keine Antwort. Schliesslich räusperte er sich – und die Stimme klang so belegt, als hätten 30 Lastwagen auf seinem Kehlkopf parkiert: «Ohne iPhone geht gar nichts! Ich lasse mir wegen einer dummen Kuh, die sich ihr wichtigstes Kommunikations-Organ klauen lässt, nicht die Ferien vermiesen...» Pussy sass dann alleine im Retour-Zug nach Basel. Rote Augen. Und ein Glas Rotwein.

Ob das Portal vielleicht deshalb «Glück und Glas» hiess?

Montag, 17. Juli 2017