Von Rollatoren und einem Clown fürs Gemüt

Illustration: Rebekka Heeb

OK. Eine gebrochene Scham ist nicht lustig. Es gibt in jenem Bereich bestimmt aufgestelltere Momente. Aber nun ist einmal der Riss im Becken drin. «UND SO EIN BRUCH!», jammert der Gefallene. JA. SCHLIMM. ABER NOCH SCHLIMMER IST ES FÜR DIE DURCHGESCHÜTTELTEN UM IHN HERUM.

Im AKW, dem Allgemeinen Wiener Krankenhaus, haben sie uns Röntgenaufnahmen mitgegeben. Sie kamen auf eine DVD gebrannt – gebranntes Unglück, eigentlich. ABER WAS NÜTZT DAS, WENN WIR DEN BRUCH NICHT ÖFFNEN KÖNNEN? Wir hocken am Computer. Und immer wieder kommt ein Fragezeichen. Dann ein Ausrufezeichen. Und dann der genervte Kommentar auf dem Screen: «VERSCHLÜSSELTER ZUGANG!»

Während wir uns mit der Technik aufreiben, nervt Innocent aus dem Bett: «Wo bleibt mein Cognac-Ei?» Er hat herausgefunden, dass alle Medis mit Cognac-Eiern dreifach wirken. Seither stehe ich nur noch am Mixer: Ei… Zucker… Cognac. Ich bin mit den Nerven jetzt schon so was von fahrig, dass ich gestern vergass, den Deckel auf den Behälter zu klemmen. Heute kommen die Maler.

Innocents Krankenzimmer ist eine Mischung aus blumiger Aufbahrungshalle und einem Messie-Raum. Eigentlich ist es sein Büro. Und da stapeln sich seit Jahrzehnten alte Zeitungen, alte Briefe, alte Dokumente – inmitten des Chaos findet der Geduldige dann auch mal ein Teil vom Hörapparat. Oder ein Viertel vom Himbeer-­Joghurt, dessen Ablaufdatum noch in die Zeit vor dem Millennium zurückgeht.

Ich will nichts dramatisieren, aber als die Samariter den Patienten nach zehnstündiger Fahrt endlich heimisch flach legen wollten, mussten sie sich zuerst einmal mit Spaten und Pickel den Weg zu dessen Krankenbett freischaufeln. Wir haben dieses Zimmer gewählt, weil hier das einzige Bett steht, das der Gebrochene per Knopfdruck rauf und runter fahren lassen kann. KANN MIR EINER SAGEN, WESHALB MAN SO EIN BETT IM BÜRO HAT? ICH WEISS ES NICHT. ICH VERMUTE NUR.

«Ich brauche einen Rollator», bellt Innocent hinter den Bergen von Haushaltskatalogen und vergilbten Basler Nachrichten hervor. Was er wirklich braucht, ist ein Stapelheber. Aber ich sage nichts. Denn wenn ich den Mund aufreisse, haben wir gleich wieder Zoff. Und Zoff ist das, was die Knochenheilung am meisten verzögert. Fragen Sie meinen Vetter Tom, den fit-gesunden. Er behauptet, ein frohes Gemüt heile jeden Bruch drei Mal schneller, als ein Knochenriss mit verbiestertem Charakter dahinter. OH GOTT – DAS KANN DANN ABER DAUERN!

«Wo bekomme ich auf die Schnelle einen Rollator her?», wage ich den winzigen Einwand. Hinter den Bergen rufts verärgert: «Klemm dich in die Arschbacken – HEUTE HAT DOCH JEDER SO ETWAS ALS ALTERSTÜTZE. DIE AHV ALLEINE STÜTZT DA KEINEN!»

«Willst du einen mit Glocke, Leuchtsignalen und Navigator?», frage ich gereizt. «Es gibt schon ganz anständige Modelle ab 18 Franken», ist die Antwort. «Schau mal zuerst im Brockenhaus und…»

Ich fahre zum Fachhandel. Er liegt in einem der Vororte unserer Stadt. Und es ist ein kleiner Wunder-Center für Flachgelegte und all diese Menschen, die mit einem Bein bereits jenseits stehen. Dieses Bein aber nicht mehr bewegen können.

Der Verkäufer ist ein reizender Mann. Er führt mir die Rollatoren vor, als würde ich einen Mercedes kaufen. «Der hier hat auch diesen praktischen Korb für Einkäufe, hier ist der Krückenhalter und das ist ein batteriengespiesener Klingelton.»

Ach ja – als Unterhaltungs-Variante hat er beim hinteren Rad einen Aufkleber, der die Geschwindigkeit über 50km/h verbietet! «Das ist natürlich ein Scherzchen», sagt der nette Verkäufer. «Darf ich Ihnen einen Kaffee aus einer Schnabeltasse offerieren?»

Ich nuggle «Clooney» am Schnabel. Und kaufe das Tässchen, das auch als Thermos-­Gefäss durchgeht.

Dann macht mich der Verkäufer auf die neusten Formen von Bettpfannen heiss. Und auf diese Flaschen «die eigentlich jeder bei sich tragen sollte … man weiss ja nie…»

Ich denke an jene Autofahrt, als die Not am heftigsten war. Und ich in einer Schlange steckte. Wie froh wäre ich da um so eine Flasche gewesen. Ich kaufe drei. Und auch ein Servierbrett, das man vor dem Bauch des Kranken wie einen Klapptisch aufstellen kann. «Er wird es Ihnen danken», lächelt der Verkäufer gütig.

«Er wird überhaupt nichts – nur fragen, was der Schmetter gekostet hat», kläre ich ihn über das dankbare Wesen auf. «Ach so einer ist er», seufzt der Verkäufer nun enttäuscht. Schade – dann kommt der Rolls-Royce der Rollatoren wohl nicht infrage. «Es ist das Modell ‹Speedy Diamant›. Man kann auch darauf sitzen. Und eine Party feiern.»

Zu Hause dann natürlich: ­Theater, Theater, Theater. «Ja bist du durchgerüttelt? MIT SO ETWAS ROLLE ICH NICHT IN DER GEGEND HERUM! UND DANN NOCH SCHWARZ – DU WEISST, DASS MICH SCHWARZ ALT MACHT!» «Es hatte leider keinen in Resedagrün mit Glimmer. Aber der hier hält 120 Kilos …»

Abends kommt Frau Calabrese, die Physiotante. Sie therapiert Innocents gebrochenen Fuss (ja, der ist auch lädiert!). Pomadisiert die angeschwollenen Stellen. Und ist eine stets trällernde Frohnatur: «In zwei Monaten rennen Sie wieder wie ein junger Hund herum, so gut trainiert wie Sie sind.»

Zur Pomade noch der Schleim. Aber: «Wichtig ist die heitere Psyche für die Heilung», zwinkert sie mir zu. «Ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis: ein frohes Gemüt heilt jeden Bruch drei Mal schneller.»

Auch sie besuchte den Kurs meines fitten Vetters Tom. Ich werde morgen einen Clown engagieren.

Dienstag, 30. Mai 2017