Von harten Zuckerstangen und keinem Bier zu Sant’Agata

Illustration: Rebekka Heeb

«Die Prozession geht an eurem Balkon vorbei…» Umberto ist ganz aufgeregt. Zum ersten Mal kann er seine heilige Agata von oben herab betrachten. «Sie verkaufen hier alles auf den Strassen – nur kein Bier», beschwert sich Innocent. Seit wir hier sind, lässt er keinen guten Faden an der heiligen Agata. Immer wieder behauptet er, ein Appenzeller Alp­abgang sei viel lustiger – und auch kulinarisch der grössere Wurf.

Innocent hat an einem der Grillständchen ein Stück Pferdehuft reingezogen. Sie haben das arg angekohlte Ross zwischen einen wattigen Burger-Fladen gesteckt. Und damit keiner das Pferd schmeckt, haben sie das Ganze arg mit dieser Peperoncino-Masse eingesprüht, die der Teufel persönlich gemixt haben muss. Jedenfalls spie unser Freund nach dem ersten Bissen wie ein ­Drache Feuer. Rollte die Augen. Und schrie nach Bier. ABER EBEN: BIERIDEE. Hier trinken sie Wasser – ob geweiht oder nicht.

Mittlerweile brettern Dutzende von seltsamen Kleiderständern an uns vorbei. An den Ständern baumeln honiggelbe Kerzen. Ellenlang. Daneben gibts auch die heilige Agatha als Plakette – ähnlich wie sie bei uns das Comité und die Tambour­majoren tragen: Gold oder Silber auf gerüschtem ­Hintergrund. «Blaggedde ist Ehrensache», sage ich. Und wähle für Innocent «Agata im Kerker» und für mich «Agata – Trost spendend» aus.

Wenn man bedenkt, dass frittierter Fisch samt Salat und einem Fläschlein Wasser hier vier Euro kostet, sind zehn Euro für die Heilige (auch wenn sie hintenherum gerüscht wird) ein stolzer Preis. ABER WIR WOLLEN MAL NICHT SO SEIN.

Wir kaufen auch Kerzen, die in keinen Koffer passen. Und die wir deshalb später beim Umzug den Priestern wieder abgeben, damit sie die erneut verkaufen können. Alle kaufen Kerzen. Geben sie ab. Und kaufen sie dann wieder. DAS IST DAS WUNDER VON AGATAS GELDVERMEHRUNG.

Alle Kostümierten wuseln nun in ihren ­weis­sen Röcken (die ein bisschen wie Metzgerschürzen aussehen) zu ihrem Abmarschort. AUCH DAS ERINNERT AN FASNACHT. Nur dass sie hier keine Larve, aber genau wie in Basel das selige Gesicht der Verklärten und Auserkorenen tragen.

Unter unserm Hotelbalkon verteilen sich Düfte, die den Himmel ankündigen: ein bauchiger Catanese, schwer wie drei Schweine, schüttet eine zähe rotbraune Masse aus einem Kupferkessel auf den Marmortisch. Mit einem schwertähn­lichen Messer schiebt er das Klebrige immer wieder hin und her, mengt es, schiebt wieder. Dann schneidet er schliesslich alles in fingergrosse ­Stücke. Seine Alte wickelt die Stangen in Wurstpapier. Und verkauft das Wunder der Süsse an die Menschheit. Das Ganze ist karamellisierter Zucker, in dem geröstete Mandeln gefangen sind.

«Warm schmeckt dieser Torrone am besten», feuert mich Umberto an. Schon stehe ich unten. Spüre den klebrigen Stängel zwischen den Fingern. Und verbrenne mir arg die Schnauze. Irgendwie ist der Duft, den dieses Engelszeug ausströmt, dann besser als seine harte Substanz. Später beisst auch Innocent von der nun erstarrten Hartmasse ab. ÜBER­MORGEN HAT ER EINEN ZAHNARZTTERMIN.

Es ziehen immer mehr Devoti an uns vorbei. Devoti sind diese Anhänger der schönen Heiligen mit dem süssen Lächeln. Ein Meer von weissen Gewändern schwebt durch die Stadt. Es sind ­Tausende von Gläubigen, die sich an einem dicken Seil halten. Und ihre Agata ehren.

Viele junge Männer schreien, klopfen sich brüllend auf den Brustkorb und sind in Trance. Sie fallen schluchzend auf die Knie. Und stacheln die andern Gläubigen an, laut das Heil der Frau mit den verlorenen Brüsten herauszuschreien.

Hier zeigt Innocent nun erstmals grossen ­Respekt. «Da könnten sich die Schauspieler vom Basler Caligula-Marathon aber ein Beispiel ­nehmen. Diese Protagonisten hier versteht man sogar ohne Hörapparat.»

Am Schluss der ellenlangen Prozession kommt endlich der Wagen mit den Gebeinen der Heiligen. Viel hochdekoriertes Klerikales ist auf dem Gefährt – und ein ganz, ganz klein wenig muss man dann doch an die alten Grenzgänger-Waggis denken. Nur, dass die Kirchenleute keine Orangen werfen, sondern nur Segen verteilen. Und dann eben die erwähnten Opferkerzen auf den Wagen ziehen. Etwas säuerlich zwar. Denn ganz hinten ist ein Koffer, in den man Bares direkt reinwerfen kann. Und diese Direktspende wäre doch irgendwie praktischer als der Umweg über die Kerze.

«Es gibt Leute, die schenken der Heiligen Gold und Schmuck – auch grosse Diamanten und ­Perlen», sagt Umberto ergriffen. Immer wenn er von seiner Agata redet, umwölkt sich seine Stimme wie der Wildstrubel bei Föhn. «… und was macht ihr mit all den Klunkern?» – meldet sich Innocent durch seine frische Zahnlücke.

«Die werden verkauft. Und das Geld fliesst zu den Armen», erklärt Umberto mit strengem Blick an. «Aha», sagen wir beide.

Nun ist auch der letzte Devote an uns vorbeimarschiert. Es ist bereits gegen vier Uhr mittags. Und der Heiligen-Cortège hat happig ­Hunger gemacht. Doch keine Chance, einen Platz in einer Beiz zu ergattern. Alles besetzt. Die Aktiven strömen zu den Tellern. Und schaufeln sich Pasta Norma rein.

«Ihr solltet auch Cliquenkeller mit Bierausschank einrichten…», gibt Innocent den Senf zur Lage durch, «…dann müssten sich die Zuschauer nicht mit ver­kohltem Ross und steinharten Zuckerstangen zufriedengeben.»

Auf dem Flug nach Basel tätschelt er dann meine Hand: «Irgendwie wars spannend. Und seltsamerweise hat das Fest der Agatha in mir wieder die Lust auf Fasnacht geweckt. Ich glaube, nächsten Februar bin ich wieder mal dabei. Dort gibts zumindest Bier an den Ständen.»

Da soll noch einer sagen, Sant’Agata würde keine Wunder vollbringen…

Dienstag, 28. März 2017